Hüter der Macht
verarbeitete Wolle nicht mit der Zahl der Garnrollen überein, die von den Spinnerinnen abgeliefert werden. Ähnlich macht er es bei den Ausgaben für die Seifensieder, die Walker und die Färber. Es sind immer nur ein paar Piccioli, aber mit der Zeit kommt so mancher Florin zusammen. Außerdem bezahlt er weniger für die Webstühle, die er an die Weber weiterverkauft oder gegen wöchentlichen Zins vermietet, als er ihnen dann in Rechnung stellt. Die erste Rate holt er nämlich immer persönlich ab, nur findet sich diese nirgendwo in den Büchern wieder.«
Cosimos Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Und du bist dir ganz sicher?«
Sandro nickte. »Wenn es nicht so wäre, hätte ich es erst gar nicht gewagt, davon anzufangen.«
»Das bedeutet, dass Vieri und sein Bruder unter einer Decke stecken«, folgerte Cosimo.
Sandro zuckte mit den Schultern. »Anders ist so eine Betrügerei im Rechnungsbuch gar nicht möglich.«
»Interessant«, murmelte Cosimo. »Und warum hast du mir nicht schon längst gemeldet, dass die beiden auf meine Kosten in ihre eigene Tasche wirtschaften?«
Unter dem stechenden Blick des Medici wurde Sandro unbehaglich zumute. »Auf einen Verdacht hin schwärze ich niemanden an, nicht einmal jemanden wie Meister Vieri«, antwortete er vorsichtig. »Und Gewissheit darüber habe ich erst am Tag des falschen Pestalarms erhalten. Außerdem …«
Cosimo schien zu ahnen, was in Sandro vorging. »Schon gut! Ich kann mir denken, warum du gezögert hast. So etwas nennt man Skrupel.« Er lachte kurz auf und fügte dann mit beißendem Spott hinzu: »Das gibt sich mit den Jahren und mit der bitteren Erfahrung, dass einem Skrupel von anderen selten hoch angerechnet werden, schon gar nicht von denen, die selbst nie welche gekannt haben.«
Sandro schluckte. »Werdet Ihr … etwas gegen Meister Vieri und seinen Bruder unternehmen? Werdet Ihr sie verhaften und vor den Richter bringen lassen?«
Cosimo lächelte auf eine merkwürdige, ganz und gar freudlose Art, sodass es Sandro kalt den Rücken herunterlief.
»Damit die ganze Stadt erfährt, dass ein kleiner Lump wie Vieri samt seinem trunksüchtigen Bruder mit ihren Betrügereien meine erfahrenen Buchhalter übertölpelt hat, und das womöglich schon seit Jahren?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, den Spott werde ich dem Haus Medici zu ersparen wissen. Manchmal ist es klüger, wenn man sich einen Feind oder einen betrügerischen Mitarbeiter dadurch vom Hals schafft, indem man ihn einfach an einen Ort schickt, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann. Und Meister Vieri scheint mir, wie ich es vorhin in der Bottega schon sagte, ein geeigneter Kandidat für höhere Aufgaben zu sein. Die werden jedoch nicht in Florenz auf ihn warten, sondern sehr weit weg.«
12
D rei Tage später wurde Vieri di’ Armando in die Via Larga gerufen. Als er in die Bottega zurückkehrte, platzte er beinahe vor Stolz. Cosimo de’ Medici habe ihn höchstpersönlich zu höheren Aufgaben berufen und ihn mit seinem Bruder unverzüglich nach Pisa geschickt. »Wir sollen dort den Betrieb und die Rechnungsbücher einer großen Tuchmanufaktur, die dort zum Verkauf steht, einer genauen Prüfung unterziehen. Und wenn unser Ergebnis positiv ausfällt, werden die Medici den Kaufvertrag unterschreiben und wir, ich und mein Bruder, werden dort die Leitung übernehmen. Es eilt so sehr, dass wir schon heute aufbrechen müssen. Ja, die Medici verlassen sich auf mein Urteil! Die wissen, was sie an mir haben!« Mit Blick auf den Lagerverwalter fügte er hinzu: »Vorerst soll Riccardo Massero hier die Leitung übernehmen und Sandro die Führung der Bücher, bis Ser Cosimo diesbezüglich eine endgültige Entscheidung getroffen hat.«
»Soll mir mehr als recht sein, dass wir den Schinder und seinen versoffenen Bruder endlich loswerden«, flüsterte Tommaso. »Aber dass ausgerechnet Vieri so hoch gestiegen ist in der Gunst der Medici, das gönne ich ihm nun wirklich nicht.«
»Ich glaube nicht, dass Vieri viel Freude an seiner neuen Aufgabe haben wird«, erwiderte Sandro beklommen in Erinnerung an das, was Cosimo de’ Medici ihm unter vier Augen und mit jenem erschreckend kalten Lächeln anvertraut hatte.
Tommaso hörte gar nicht hin, sondern fuhr erbost fort: »Diesen Aufstieg hat er sich mit seinen unverschämten Lügen und auf deine Kosten erkauft, Sandro! Jemand hätte vor ein paar Tagen den Mut haben sollen, Ser Cosimo reinen Wein einzuschenken und ihm zu erzählen, was für ein feiger
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