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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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her.
    Tessa irrte durch das dunkle Haus. Niemand schien etwas gehört zu haben. Wo sollte sie sich verstecken? Trotz der Wärme fror sie entsetzlich. Warmes Blut drang aus den aufgeplatzten Lippen und rann über ihr Kinn. Ihr Unterkiefer schmerzte entsetzlich. Aber noch viel schlimmer war die Demütigung und Erniedrigung, die sie in jeder Faser ihres Körpers spürte.
    Es ging schon gegen Morgen, als sie endlich die Kraft fand, in die Wirtschaftsräume zu schleichen. Dort wusch sie sich das Blut aus dem Gesicht und presste die kalten Schneiden der großen Schlachtmesser auf die schmerzenden Schwellungen, um sie zu kühlen. Dann erst wagte sie sich in ihre Kammer zurück.
    Als sie wieder in ihrem Bett lag, überlegte sie lange, was sie Fiametta antworten sollte, wenn ihre Herrin sie so zugerichtet sah und wissen wollte, wobei sie sich die Verletzung im Gesicht zugezogen hatte. Die Wahrheit zu sagen verbot sich von selbst, auch wenn Lionetto ihr nicht mit Auspeitschung und Verkauf an einen Zuhälter gedroht hätte. Fiametta würde ihr niemals glauben oder doch zumindest nicht glauben wollen, was in dem Fall wohl ein und dasselbe war.
    Und während die heißen Tränen über ihre zerschundenen Wangen liefen, fragte sich Tessa ein ums andere Mal, ob sie wirklich gut daran getan hatte, Sandros Aufforderung so kategorisch von sich zu weisen, heimlich mit ihm aus Florenz zu verschwinden.
     
    Tatsächlich erschrak Fiametta über alle Maßen, als Tessa am nächsten Morgen zu ihr ins Gemach trat. »Um Gottes willen, du siehst ja entsetzlich aus! Wie ist das bloß passiert? Sag nur, du bist wieder mit dieser frechen neuen Küchenhilfe Dorina aneinandergeraten«, stieß sie hervor.
    Tessa schüttelte den Kopf und versuchte ein schwaches Lächeln, zuckte jedoch sofort zusammen, weil ihre Lippen wie Feuer brannten. »Nein, Dorina hat damit nichts zu schaffen. Es war meine eigene Dummheit. Es ist heute Nacht passiert, als ich auf den Abort musste, weil ich meinen Nachttopf nicht finden konnte«, log sie. »Ich war noch halb im Schlaf und bin auf der Treppe zu meinem Pech auf mein Nachthemd getreten. Und dann ist es eben passiert. Zum Glück habe ich mir bei dem Sturz nichts gebrochen. Außerdem sieht es viel schlimmer aus, als es ist.«
    Dass sie ihre Verletzungen so herunterspielte, sollte sich drei Tage später als unklug erweisen, als sie sich am Sonntagmorgen vor der Messe und vor Sandros Blicken drücken wollte. Fiametta bestand aber darauf, sie an ihrer Seite zu haben.
    »Ich kann doch so grün und blau geschlagen nicht unter Menschen gehen, Fiametta!«
    »Ach was, das überdecken wir mit ein wenig Puder und du darfst dir eine meiner alten Hauben mit einem dichten Schleier nehmen! Das wird reichen, um dich vor neugierigen Blicken zu schützen«, erwiderte Fiametta bestimmt. »Also stell dich nicht so an! Du bist doch hier im Haus auch unter Menschen. Außerdem gehe ich in meinem Zustand nicht ohne meine Zofe aus dem Haus. Du hast mir Beistand zu leisten, sollte ich bei all dem Weihrauch wieder einmal einen Schwächeanfall während der Messe erleiden. Und zur Messe müssen wir, schon weil ich die neue Wachspuppe meines Sohnes aufstellen muss!«
    Tessa blieb nichts anderes übrig, als sich dem Willen ihrer Herrin zu beugen, und ihr sank das Herz, als sie an Sandro dachte. Sie bangte, ob sie ihre Verletzung vor ihm verborgen halten konnte. Und falls ihr das nicht gelingen sollte, würde er ihr dann ihre Lügengeschichte abnehmen?

10
    S andro spürte sofort, dass mit Tessa irgendetwas nicht stimmte. Dafür reichte ein Blick, als er sie nach der Messe mit einer aufwendigen Haube auf dem Kopf sowie mit einem dichten Spitzenschleier vor dem Gesicht seitlich von der Kirche und abseits von ihrer Herrin und den anderen Vasetti stehen sah. Augenblicklich vergaß er, was er ihr an Neuigkeiten hatte mitteilen wollen. In dem Haus, in dem Matteo und Ippolita wohnten, waren zwei schöne Zimmer frei geworden, und er gedachte, dort in den nächsten Tagen einzuziehen.
    Er hätte sich schon längst eine eigene Unterkunft, ja sogar ein nettes kleines Häuschen leisten können. Aber aus Sparsamkeit und Bequemlichkeitsgründen hatte er bislang sein Zimmer im Palazzo der Tavola behalten und sich dort von der Haushälterin für ein geringes Entgelt verköstigen lassen. Und wozu hätte er auch allein in einem Haus leben sollen? Doch seit er in der Hauptbank der Medici eine feste Anstellung erhalten hatte und nun einen jährlichen Lohn von fünfzig

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