Hüter der Macht
nicht gehen lassen, auch dann nicht, wenn du ihr anbieten würdest, mich in Gold aufzuwiegen. Sie ist so unglücklich in ihrer Ehe mit Lionetto, auch weil das zweite Kind noch immer auf sich warten lässt. Sie will mich mehr denn je um sich haben.«
»Dann gibt es nur eine Möglichkeit«, sagte Sandro mit grimmiger Entschlossenheit. »Wir verlassen heimlich die Stadt und fangen irgendwo im Norden ein neues Leben an, wo niemand uns kennt! Mein Erspartes wird ausreichen, damit wir neu Fuß fassen können. Keiner wird je erfahren, dass du eine entlaufene Sklavin bist.«
Zärtlich strich Tessa mit der Fingerspitze über seine Nase bis zu seinen Lippen. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Dass du das gesagt hast, werde ich dir nie vergessen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Aber ich kann und werde nicht als entlaufene Sklavin mit dir in irgendeine fremde Stadt gehen. Niemals.«
Verständnislos sah er sie an. »Aber warum denn nicht? Ich schwöre dir, dass wir ganz bestimmt nicht …«
»Ich kann es nicht tun, Sandro. Weil ich dich viel zu sehr liebe. Ich weiß, wie viel dir alles bedeutet, was du dir hier erarbeitet hast. Es ist dein Verdienst, dass die Medici dir eine wunderbare Möglichkeit für den Aufstieg geboten haben. Es darf nicht alles umsonst gewesen sein.«
Sandro starrte sie sprachlos an. Niemals hatte er jemandem anvertraut, wie viel ihm seine Stellung bei den Medici bedeutete, nicht einmal Tessa. Doch offenbar hatte sie gespürt, was in ihm vorging.
»Das ist mir nicht wichtig!«, sagte er trotzdem. »Wir schlagen uns schon durch. Ich scheue weder harte noch einfache Arbeit!«, beteuerte er und griff nach ihrer Hand. »Solange wir nur zusammen sind!«
»Das mag jetzt so sein. Aber eines Tages wirst du anders darüber denken und nicht mehr begreifen, warum du diese blendende Zukunft, die du bei den Medici hättest haben können, meinetwegen aufgegeben hast. Und dann werde ich deine Liebe verlieren, womöglich wirst du mich sogar hassen. Und was passieren könnte, wenn man doch entdecken würde, dass ich eine entlaufene Sklavin bin, daran mag ich gar nicht denken. Du würdest in den Kerker kommen!«
Er wollte heftig protestieren, doch da legte sie ihm sanft ihren Finger auf die Lippen.
»Ich werde es unter keinen Umständen tun«, flüsterte sie, »wie sehr du mich auch zu überreden versuchst, Sandro! Und wenn du mich so liebst, so wie ich dich, wirst du auch nie wieder davon anfangen und mich damit quälen.« Sie schluckte. »Damit wirst du uns nichts weiter als unnötigen Schmerz zufügen.«
»Tessa! Bitte!« Sandro hörte selbst, wie seine Stimme brach. »Das kann unmöglich dein letztes …«
»Doch, es ist mein letztes Wort«, sagte sie bestimmt. »Nimm Vernunft an und gib dich nicht irgendwelchen Hoffnungen hin, die sich nie erfüllen werden. Lass uns lieber dankbar sein für das, was wir haben.«
»Und was haben wir?«, fragte er bitter.
»Wir haben unsere Freundschaft, und das ist das Kostbarste, was ich besitze.« Hastig gab sie ihm einen letzten Kuss auf die Wange, wand sich aus seinen Armen und lief mit eiligen Schritten davon.
Erst wollte er ihr nachsetzen, doch dann besann er sich und blieb, wo er war. Mit einem wilden Schmerz in der Brust blickte er auf die schmale Gestalt, die sich fast fluchtartig von ihm entfernte. Denn er wusste, dass Tessa jedes Wort so meinte, wie sie es gesagt hatte. Und auf den kurzen Moment des vollkommenen Glücks, den sie gemeinsam erlebt hatten und der seine Träume beflügelt hatte, folgte nun der Sturz in eine abgrundtiefe Verzweiflung.
In dieser Nacht weinte Sandro Fontana, wie er noch nie zuvor in seinem Leben geweint hatte.
8
I n den folgenden Wochen war Tessa geradezu dankbar dafür, dass Fiametta sie mit ihren eigenen kleinen wie großen Nöten und der üblichen täglichen Flut von ungeduldig eingeforderten Zofendiensten von morgens bis abends in Beschlag nahm. Nur so gelang es ihr, den brennenden Schmerz in ihrem Innern und die Hoffnungslosigkeit, die sich wie ein viel zu enger Ring um ihre Brust gelegt hatte, zu beherrschen.
Die tränenreichen Ausbrüche, mit denen Fiametta ihre Klagen über ihr abscheuliches und bitteres Eheschicksal regelmäßig begleitete, gaben Tessa Gelegenheit, ihren eigenen Tränen freien Lauf zu lassen, auch wenn niemand wusste, weshalb sie wirklich weinte.
Die Erinnerung an die wunderbaren Momente in Sandros Armen und seine leidenschaftlichen Küsse wollte Tessa um keinen Preis der Welt missen, auch wenn
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