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Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Titel: Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Richner
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meine Fragen nicht beantwortet. Gehörst du zur Gilde? Bist du der Geist, von dem alle sprechen? Hast du all das getan, was man ihm vorwirft? Die Irrlichter gegen die Menschen aufgehetzt, Nara aus Arcanastra verschleppt…
     
    Schließlich drehte sich der Geist um und ging aus der Hütte. Einige Meter davon entfernt kauerte er sich auf den Boden und wischte das Laub beiseite. Darunter kam eine Falltür zum Vorschein. Der Geist zog sie auf, und sie öffnete sich ächzend und knarrend. Ein Raum wurde sichtbar, der wie ein Zimmer aussah, mit einem Tisch und einem Bett darin. Auf einem Stuhl saß ein Mädchen und blinzelte ins plötzliche Licht.
    „Nara“, murmelte Emily.
    „Ich habe einen Auftrag für dich“, flüsterte der Geist. „Du kannst rauskommen – aber wenn du wegläufst, wird dein Bruder dafür büßen.“
    Nara nickte zögernd. Dann stieg sie auf der Leiter nach oben, die der Geist durch die Falltür geschoben hatte. Sie blieb vor ihm stehen, ohne ihm ins Gesicht zu schauen.
    „Du wirst dich verwandeln, und zwar in mich“, flüsterte er. Nara hob verwirrt den Kopf.
    „Aber warum?“
    „Frag nicht“, kam die geflüsterte Antwort. „Tu es, jetzt gleich !“
    Er gab ihr einen Umhang, der genau so aussah wie derjenige, den er selbst trug. Nara hüllte sich ganz darin ein. Sie schlang sich die Arme um den Körper, wiegte sich hin und her, und dann war ein langgezogenes Seufzen zu hören, als würde sie gerade erwachen.
    Als sie den Kopf hob, waren unter der Kapuze dieselben leuchtend grünen Augen und die feine Narbe zu sehen, die auch der Geist hatte. Nara hatte ihre Gestalt gewandelt.
    „Sehr gut“, flüsterte der Geist. „Und nun warte hier. Dein Bruder wird jeden Augenblick hier sein. Du wirst nichts zu ihm sagen, kein Wort. Ich bleibe in der Nähe und beobachte euch. Falls du ihn warnst, wird er dafür sterben müssen.“
    Nara wankte. Dann nickte sie. Im nächsten Moment war der Geist in den Tiefen des Moores verschwunden.
    Nara wartete. Nichts war zu hören außer dem Rauschen des Windes in den Bäumen, klagenden Vogelrufen und dem leisen Plätschern von Wasser. Und dann betrat Archibald Shaddock die kleine Lichtung. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
    „Es ist genug“, sagte er entschlossen. „Ich habe alles getan, was du von mir gefordert hast. Lass Nara gehen!“
    Nara, in der Gestalt des Geistes, schwieg.
    Es musste schrecklich gewesen sein für sie, dachte Emily. Ihr Bruder war direkt vor ihr gestanden, doch sie hatte ihm nicht sagen dürfen, wer sie war, um ihn zu schützen.
    „Du hast es versprochen!“, stieß Shaddock hervor. „Bitte, lass sie gehen!“
    Voller Hass starrte er auf seine Schwester, ohne zu wissen, wer sie wirklich war. Er sah nur die grünen Augen und die feine Narbe des Geistes. Nara schwieg noch immer. Ein leichtes Zittern verriet sie, doch Shaddock war zu aufgewühlt, um es zu bemerken.
    „Ich werde dir nicht mehr helfen. Du und deine Gilde, ihr seid Verbrecher! Ich weiß, wo du Nara versteckt hältst, ich kenne den unterirdischen Raum… du wirst uns zu nichts mehr zwingen! Und du hättest besser auf das Giftnetz aufpassen sollen, das du hergestellt hast.“
    Nara machte eine Bewegung. Im selben Moment schleuderte Shaddock etwas durch die Luft, das aussah wie ein großes Tuch, so fein, dass man durch es hindurch sehen konnte, in dunklen Farben schillernd… es senkte sich über Nara, die wie erstarrt stehen blieb… und dann sank sie langsam zu Boden, während das schillernde Tuch sich in Nichts auflöste.
    Shaddock stieß einen triumphierenden Schrei aus. Langsam näherte er sich der Gestalt, die zusammengekrümmt dalag.
    „Endlich, endlich“, murmelte er, kauerte sich hin und schlug die Kapuze der Gestalt zurück.
    Er schaute direkt in das Gesicht seiner toten Schwester, in Naras Gesicht.
    Seine Züge verzerrten sich voller Schmerz, doch bevor ein Klagelaut über seine Lippen drang, löste sich die Szene in einem Wirbel silberfarbener Buchstaben auf.
    „Ich denke, das genügt“, sagte Madame Foucault leise. Sie sah erschüttert aus. Auch Emily musste erst einmal verdauen, was sie gerade gesehen hatte – Shaddocks Geschichte hätte kaum tragischer sein können. Die ganze Zeit hatte der Geist ihn erpresst, getäuscht und benutzt, und schlussendlich hatte er ihn sogar dazu gebracht, seine eigene kleine Schwester zu ermorden.
    Sie warf Shaddock einen vorsichtigen Blick zu. Er saß mit zusammengepressten Lippen in seinem Sessel. Auf einmal stand er

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