Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
Schwester Nara.“
Bei der Erwähnung seiner Schwester zuckte Shaddock zusammen. Madame Foucault warf ihm einen mitleidigen Blick zu.
„Ich war damals erst seit Kurzem Bibliothekarin. Um die Gilde war es einige Zeit ruhig gewesen, doch dann tauchte dieser Geist auf. Er trieb sich im Moor herum, brachte die Irrlichter unter seine Kontrolle, entführte Archibalds Schwester Nara und erpresste ihn damit. Archibald sollte ihm Bücher aus der unterirdischen Bibliothek besorgen. Natürlich war Archibald verzweifelt und voller Sorge um Nara… also tat er es. Er überredete seine Freundin, eine sehr junge Bibliothekarin, ihm die Bücher zu bringen.“
„Diese Freundin war ich“, sagte Sophia leise. „Und aus Liebe zu ihm tat ich, worum er mich bat. Obwohl ich tiefe Zweifel hatte.“
Ungläubig starrte Emily ihre Großtante an.
„Archibald spielte seine Rolle gut“, erzählte Sophia weiter. „Ich hatte keine Ahnung, dass er die Bücher gar nicht für sich selbst wollte, sondern von jemandem unter Druck gesetzt wurde. Er hat mir immer wieder versichert, dass er die Bücher nur zu Forschungszwecken brauchte, dass er mit seinem Wissen niemandem schaden würde… nun, das hat er auch nicht. Es war der Geist, der das tat.“
„ Du hast diese Briefe ins hüpfende Buch geschrieben?“, rief Emily ungläubig. „ Du hast Mr. Shaddock Bücher aus der unterirdischen Bibliothek besorgt?“
Sophia nickte.
„Ich ahnte bis zum Schluss nicht, dass noch jemand neben Archibald an der ganzen Sache beteiligt war. Immerhin war er es, der mich um die Bücher bat. Und als ich langsam Verdacht schöpfte, dachte ich natürlich, er sei der Geist. Dabei wurde er von diesem erpresst… er selbst war unschuldig.“
Shaddock stöhnte.
„Unschuldig? Ich habe meine eigene Schwester ermordet!“
„Er hat sich sein Leben lang Vorwürfe gemacht deswegen… aber es war nicht deine Schuld, Archibald“, sagte Sophia sanft. „Das ist allen klar. Du könntest es dir endlich verzeihen.“
Verwirrt hob Emily den Kopf. Aber Shaddock hatte doch gerade zugegeben, dass er seine Schwester umgebracht hatte? Wie konnte er da unschuldig sein? Sie warf einen Blick zu Emma und Miki, doch die beiden waren zu sehr mit Zuhören beschäftigt, um es zu bemerken.
„Ihr werdet sehen, wie sich die Geschichte in Wahrheit abgespielt hat“, sagte Madame Foucault. „Doch zuerst noch dies: Wisst ihr, was ein Gestaltwandler ist?“
Emily, Emma und Miki nickten.
„Gut, denn sowohl der Geist als auch Nara besitzen – besaßen – diese seltene Gabe. Gestaltwandler können jedes beliebige menschliche Aussehen annehmen… das eines Kindes oder eines Greisen. Und wenn sie ihr Geheimnis hüten, kann niemand sagen, welches davon ihre wahre Gestalt ist. Von allen Gestalten des Geistes ist nur eine einzige bekannt: Diejenige eines Mannes mit grünen Augen und einer Narbe über dem Nasenrücken.“
Erstaunt runzelte Emily die Stirn. Auch Shaddocks Schwester war eine Gestaltwandlerin gewesen? Nicht einmal Miki hatte das herausgefunden.
Madame Foucault drehte sich zu Mr. Peeble um, der noch immer geduldig wartete. Er machte nicht den Anschein, als hätte er an dieser Geschichte großes Interesse.
„Nun gut, Mr. Peeble. Ich denke, Sie können die Vorführung jetzt starten. Setzen wir uns. Sophia, würdest du?“
Sophia nickte. Sie strich über den Rücken des Buches und murmelte leise.
„Sie bringt es dazu, die verborgenen Nachrichten zu zeigen“, erklärte Madame Foucault.
Unterdessen hatte sie sich in einen Sessel der vordersten Reihe sinken lassen. Shaddock und auch Sophia setzten sich neben sie. Emily, Emma und Miki hingegen suchten sich Sessel in der hintersten Reihe und konnten sich endlich unterhalten.
„Was ist passiert?“, flüsterte Emily. „Du solltest doch nur Madame Foucault holen.“
„Ich weiß“, flüsterte Emma zurück. „Ich bin zu ihrem Haus gelaufen und habe ihr alles erzählt. Da hat sie geseufzt, irgendwas von hartnäckigen Plagegeistern gemurmelt und mich zu Shaddock geschleppt. Sie hat ihm eine Kurzversion meiner Geschichte erzählt und ihn gefragt, ob er bereit wäre, ins Panoptikum mitzukommen und die Missverständnisse aufzuklären. Er hat mich finster angeschaut und genickt, und dann hat sich dasselbe noch bei deiner Großtante wiederholt. Und da sind wir nun alle.“
„Glaubt ihr wirklich, dass Shaddock unschuldig ist?“, fragte Emily.
„ Ich habe das schon immer geglaubt, erinnerst du dich?“, gab Miki zurück. Dann
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