Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
verstummten die Kinder, denn Mr. Peeble krächzte:
„Die Vorstellung beginnt.“
Er legte einige Hebel um und drückte auf mehrere Knöpfe an der Mechanik. Wieder stieg ein silberner Buchstabenwirbel empor, und wieder verbanden sich die Buchstaben allmählich zu einem Bild, das flimmerte wie ein alter Film.
Emily sah einen Ort, den sie sehr gut kannte: Das Haus ihrer Großtante. Am Tisch im Wohnzimmer saß eine sehr junge Sophia und schrieb in das hüpfende Buch. Emily konnte die ersten Zeilen ihres Briefes lesen.
Liebster
Endlich habe ich eine Möglichkeit gefunden, wie wir uns schreiben können. Dieses Buch wird den Weg zu dir und wieder zurück zu mir finden.
Die Bücher aus der Bibliothek, nach denen du gefragt hast, habe ich noch nicht besorgen können. Die Hüter sind wachsam, und es ist sehr schwierig, etwas hinauszuschmuggeln…
Emily erinnerte sich, dass dies der Beginn des ersten Briefes im hüpfenden Buch gewesen war. Eine Weile schrieb Sophia noch weiter, dann klappte sie das Buch zu und stellte es vorsichtig auf den Rücken der mechanischen Grille. Zielstrebig hüpfte diese aus dem Wohnzimmer, durch den Korridor und sprang mit dem Buch durch die klappernde Ententür.
Es war Nacht, und Arcanastra lag still und menschenleer da. Niemand bemerkte das Buch, das durch die Straßen hüpfte und bald beim Stadttor ankam. Es dauerte eine Weile, bis das Tor sich öffnete und ein berittener Wächter in die Stadt kam. Unbemerkt hüpften Grille und Buch an ihm vorbei.
Das nächtliche Moor war voller Schatten und unheimlicher Geräusche. Mehr als einmal glaubte Emily das Flackern eines Irrlichts zwischen den Bäumen zu sehen, bis endlich eine gut verstecke Hütte auftauchte. Durch das staubige Fenster drang Licht ins Moor heraus. Die Grille sprang mit dem Buch auf dem Rücken einige Male gegen die Tür, die sich vorsichtig öffnete.
Und da war Archibald Shaddock. Auch er war sehr jung, und eine tiefe Verzweiflung lag auf seinem Gesicht.
Er hob das Buch hoch und trug es zu einem wackligen Holztisch. Stirnrunzelnd las er den ersten Brief, den Sophia ihm geschrieben hatte. Dann drehte er sich um.
„Sie tut es, aber sie hat die Bücher noch nicht.“
Erst jetzt bemerkte Emily, dass sich noch jemand in der Hütte befand. In der dunkelsten Ecke stand er, in einen schwarzen Umhang gehüllt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass man nicht erkennen konnte, wer das war. Nur seine grünen Augen und eine Narbe auf dem Nasenrücken wurden vom Licht der Laterne aus der Dunkelheit gelöst.
Der Geist, dachte Emily.
„Ich werde sie überzeugen, glaub mir“, sagte Shaddock verzweifelt. „Gib mir noch ein bisschen Zeit… du wirst deine Bücher bekommen.“
Der Geist starrte ihn reglos an. Shaddock fuhr sich mit der Hand über die Augen.
„Tu Nara nichts“, flüsterte er. „Ich schwöre dir, ich tue alles, was ich kann.“
Der Geist sagte noch immer nichts. Dann nickte er knapp, und Shaddock seufzte erleichtert.
Das Bild löste sich in einem silbernen Buchstabenwirbel auf, und gleich darauf erschien ein neues. Wieder war es mitten in der Nacht, und wieder sah Emily dieselbe Hütte. Nur der Schein einer flackernden Kerze verbreitete schwaches Licht. Auf dem Tisch lagen einige Bücher, und der Geist las in einem davon. Shaddock stand neben ihm und drehte nervös das hüpfende Buch in den Händen herum.
„Sind es die richtigen?“
Der Geist nickte, ohne aufzusehen.
„Und… wann lässt du Nara frei? Du hast es versprochen“, sagte Archibald flehend. Der Geist stieß ein tiefes, heiseres Lachen aus.
„So leicht kannst du sie nicht freikaufen… ich brauche mehr Bücher“, flüsterte er.
„Du kannst sie nicht ewig gefangen halten“, schrie Shaddock verzweifelt.
„Du tust, was ich dir sage… oder Nara wird sterben“, flüsterte der Geist hart. Shaddock wurde bleich. Seine Hände krampften sich um die Tischkante.
„Nein!“, sagte er mit zitternder Stimme. „Du bekommst alles, was du willst.“
Shaddocks Gesicht löste sich in einem silbernen Wirbel auf, und gleich darauf erschien eine neue Szene. Noch immer war die Hütte im Moor zu sehen, doch diesmal fiel helles Tageslicht durch die Fenster. Der Geist stand vor dem Holztisch, der mit Papieren und Büchern übersät war, und schaute nachdenklich auf das hüpfende Buch hinunter. Er las den Anfang des Briefes, der dort stand:
Liebster
Ich vertraue dir, das tue ich wirklich. Aber dein Brief beunruhigt mich – du hast
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