Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
Dummheit.“
Fassungslos starrte Emily ihn an. Obwohl sie große Angst hatte, empfand sie Wut über die erbarmungslosen Worte des Geistes.
„Seien Sie still!“, rief sie.
Der Geist hob den Kopf. „Schweig, Mädchen!“, fauchte er. „Du verstehst nichts. Nichts!“
„Oh doch“, sagte Emily bebend. „Ich verstehe, dass Sie böse und grausam sind. Wie können Sie ihn so quälen?“
„Ach, ich kann noch ganz andere Dinge tun“, flüsterte der Geist verächtlich.
Emily schaute zu Manley. Sie konnte seinem Gesicht nicht ablesen, was er über die Worte des Geistes dachte. Er betrachtete Nara neben sich, als wären sie allein im Moor. Vielleicht hatte er dem Geist nicht einmal zugehört, dachte Emily.
„Genug der Worte“, flüsterte der Geist und ließ seinen Blick von Emily zu Nara schweifen. „Irrlicht, ich befehle dir, dieses Mädchen zu töten!“
Voller Angst starrte Emily Nara an. Die Irrlichter taten genau das, was der Geist wollte, sie hatten es bereits das ganze vergangene Jahr über getan… Nara würde sie angreifen…
Doch Nara rührte sich nicht.
„Gehorch mir!“, zischte der Geist ungehalten. „GEHORCH MIR!“
Seine grünen Augen fixierten das Irrlicht, aber es war offensichtlich:
Nara ließ sich von ihm nicht beherrschen. Sie rührte sich nicht. Hoffnung flutete in Emilys Herz wie eine warme Welle – und in diesem Moment begriff sie es. Das Irrlicht, das sie damals im Moor hypnotisiert hatte, war Nara gewesen… schon damals war sie nicht unter der Kontrolle des Geistes gestanden, und deshalb hatte sie Emily nicht zu ihm gebracht, sondern zum Bahnhof, in Sicherheit.
Der Geist wendete sich an die anderen Irrlichter, die noch immer in einem weiten Kreis um sie schwebten.
„Vernichtet sie“, flüsterte er. „Alle drei!“
Doch keines der Irrlichter beachtete ihn. Sie schauten zu Nara und schienen auf etwas zu warten.
Rasend vor Wut wirbelte der Geist herum und wollte in die Tiefen des Moores verschwinden – doch die Irrlichter versperrten ihm den Weg. Ungläubig taumelte er zurück.
„Was…“, zischte er.
Als er sich umdrehte, schwebte Nara direkt vor ihm.
Der Geist schaute sich um, aber er konnte nicht fliehen. Die anderen Irrlichter bildeten einen dichten Kreis.
„Erbärmliches Irrlicht“, zischte der Geist böse. „ Nara . Weißt du noch, wie es war, als du gelebt hast? Weißt du noch, wie es war, als du einen Sohn hattest? Jetzt hast du nichts mehr… nichts ! Und du willst dich gegen mich stellen? Dein Leben ist vorbei, es gibt keine Hoffnung mehr für dich. Du wirst ewig in diesem Moor gefangen sein, verfolgt von Erinnerungen… vielleicht wäre es besser für dich, wenn du dich ebenfalls der Gilde anschließen würdest…“
Naras Antwort war ein Angriff, so schnell, dass Emily die Bewegung kaum sah. Im nächsten Moment umklammerte der Geist mit verzerrtem Gesicht seinen Arm. Emily erinnerte sich an die Wunde, die sie damals bei Shaddock gesehen hatte – es musste unglaublich schmerzhaft sein.
Wieder griff Nara an. Der Geist wankte und ließ ein unterdrücktes Stöhnen hören. Nara griff erneut an… und noch einmal… der Geist taumelte…
Emily wusste, dass er sterben würde.
„Nein“, flüsterte sie, ohne zu wissen, weshalb.
Nara drehte sich zu ihr um. Eine Weile blieb sie reglos dort schweben… dann zog sie sich langsam zurück.
Der Geist schleppte sich von ihr weg, immer weiter, und diesmal ließen die anderen Irrlichter ihn passieren. An einen Baumstamm gelehnt blieb er stehen…. seufzte… und dann hatte er die Gestalt gewandelt. Emily erkannte, dass der Geist jetzt größer war und breitere Schultern hatte. Er lief zwischen die Bäume und war bald nicht mehr zu sehen.
Ungläubig starrte Emily ihm nach, bis sie begriff, was passiert war: Der neue Körper des Geistes war unverletzt. Es war so, als ob er niemals von Nara angegriffen worden wäre.
Die Irrlichter zerstreuten sich langsam. Bald darauf befanden sich nur noch Emily, Manley und Nara dort.
Manley nickte Emily zu. Dann drehte er sich um und ging in Richtung Arcanastra zurück. Nara schwebte ihm voran, wie das Licht einer Laterne, um ihm den Weg zu erhellen. Kurz darauf stand Emily allein im Moor.
„Amethyst?“, rief Emily leise. Ihre Katze kam hinter dem Felsbrocken hervor und schnupperte misstrauisch.
Sie sind alle weg , dachte sie zufrieden. Und jetzt?
Emily überlegte. Sie sollte schnell aus dem Moor verschwinden, denn sie wusste nicht, was der Geist jetzt vorhatte. Sie
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