Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
musste jemandem erzählen, was gerade geschehen war, und sie wollte unbedingt wissen, was mit Finn war.
Kannst du mich zum Trainingsgelände der Wächter bringen? , bat sie. Wahrscheinlich würden all die Leute, die nach Finn suchten, dorthin zurückkehren.
Wir gehen durch die Katakomben, das ist der kürzeste Weg , schlug Amy vor und huschte voran.
Wieder vertraute Emily ihrer Katze blind. Amethyst führte sie zielstrebig durch die verwinkelten Gänge, unter der Stadt hindurch und dort wieder ins Freie. Emily erkannte den Schuppen, in dem sich der Ausgang befand: Dort waren sie in der Nacht der Gaukler in die Katakomben gestiegen. Sie war also ganz in der Nähe des Bahnhofs von Arcanastra.
Danke, Amy , dachte sie.
Kann ich dich jetzt allein lassen, ohne dass du gleich in die nächste Katastrophe rennst? , antwortete Amethyst. Emily lächelte.
Ich denke schon.
Na dann…, meinte Amethyst und verschwand in den Gassen der Stadt. Emily holte tief Luft. Jetzt, wo sie sich selbst nicht mehr in Gefahr befand, dachte sie nur noch an Finn.
Arcanastra lag noch immer ruhig da. Von den dramatischen Ereignissen dieser Nacht wussten erst wenige Menschen. Emily hastete durch die Straßen, bis endlich das Trainingsgelände zwischen den Häusern auftauchte. Sie hörte Stimmen, und in den Ställen brannte Licht.
Vor dem Eingang zum Stall zögerte Emily. Was, wenn alles schief gegangen und Finn noch gar nicht gefunden worden war? Oder, noch schlimmer…
Mit heftig klopfendem Herzen öffnete sie die Tür. Der Stall war voller Menschen, die sich zu ihr umdrehten. Madame Foucault war da, Ilja, Juno, Aziz, Sophia, Signor Montague…
Und Finn.
Auch wenn er ein schiefes Grinsen aufsetzte, als er Emily entdeckte, sah er schrecklich aus. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig, seine Haare zerzaust, und er wirkte abgemagert und bleich. Emily machte einige Schritte auf ihn zu.
„Wie… geht’s dir?“, fragte sie vorsichtig. Finn grinste noch schiefer.
„Könnte nicht besser sein“, sagte er. Emily lächelte. Sie umarmte ihn kurz und trat dann rasch wieder zurück. Erst jetzt entdeckte sie Emma und Miki, die vor Sternenfängers Verschlag standen. Emily ging zu ihnen.
„Sie haben ihn gerade erst hergebracht“, flüsterte Emma ihr zu, und Miki fragte:
„Alles in Ordnung bei dir?“
„Ja, und bei euch?“, wollte Emily wissen. Die beiden nickten.
Sternenfänger schnaubte leise und pustete Emily in den Nacken. Sie drehte sich um und streichelte über den weichen Hals des Pferdes.
Unterdessen waren Madame Foucault, Sophia und Ilja zu Finn getreten. Madame Foucault bat ihn:
„Erzählst du uns, was geschehen ist, seit du verschwunden bist?“
Finn nickte.
„Na ja, Sie wissen bestimmt, dass ich an jenem Abend in den Katakomben war und dort auf den Geist gestoßen bin. Wenigstens dachte ich das. Ich folgte ihm, konnte ihn aber nicht einholen. Irgendwann hat er die Katakomben verlassen und ist noch eine Weile durchs Moor gelaufen. Auf einmal hat er seine Kapuze und auch seine Augenbinde heruntergerissen. Er hat sich umgedreht, und da habe ich gesehen, dass er nicht der Geist war, sondern Linus. Er sah allerdings etwas seltsam aus, und irgendwann habe ich begriffen, dass der Geist ihn unter Kontrolle hatte. Durch eine Art Hypnose. Linus war ziemlich stark. Er hat sich auf mich gestürzt und mich in einen unterirdischen Raum geschleppt, der dort im Moor versteckt war.“
Finn machte eine Pause und strich sich die Haare aus der Stirn.
„Es war ziemlich übel da drin. Jeden Morgen ging die Luke in der Decke auf, und ich sah jemanden in einem dunklen Umhang – wahrscheinlich den Geist. Sein Gesicht habe ich nicht erkannt, er verbarg es immer hinter der Kapuze. Jedenfalls hat er uns Essen und Wasser gegeben, aber ich durfte nie hinaus. Das Tageslicht habe ich nur gesehen, solange die Luke offen war. Linus hatte es besser, er konnte manchmal den Raum verlassen. Meistens nachts.“
Ja, um durch die Katakomben in die Bibliothek zu gehen, dachte Emily, doch sie schwieg. Sie würde erzählen, was sie erfahren hatte, sobald Finn mit seiner Geschichte fertig war.
„Und dann, heute Abend, hat sich auf einmal die Luke geöffnet, obwohl der Geist und Linus gar nicht da waren. Also bin ich rausgeklettert und losgelaufen, mitten durchs Moor. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Richtung Arcanastra liegt, ich bin einfach gelaufen. Bis die Wächter mich gefunden haben.“
„Es war zur Ablenkung. Deshalb hat er dich gehen lassen“,
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