Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
überlegte sie…. und wie sah vor allem Arcanastra aus?
Der Junge schwieg und ließ Emily ihren Gedanken nachhängen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie still es hier war. Nur das Flattern einiger Nachtfalter war zu hören, die um die Laternen schwirrten und mit ihren Flügeln leise gegen das Glas schlugen. Nach einer Weile kam ein weiteres Geräusch dazu, erst noch von sehr fern. Emily horchte angestrengt.
„Die Bahn kommt“, bestätigte der Junge, als er ihren geneigten Kopf bemerkte. Er stand auf und schleppte seinen Koffer zu den Geleisen.
„Ist deiner schwer? Soll ich dir tragen helfen?“, rief er ihr zu.
„Geht schon“, sagte Emily und schleifte ihren Koffer neben den des Jungen. Die nahende Bahn war nun deutlich zu hören. Gespannt starrte Emily zu den Bäumen. Gleich musste sie dort aus der Dunkelheit auftauchen.
„Hast du deinen Zucker dabei?“, fragte der Junge. Emily runzelte die Stirn.
„Welchen Zucker?“
„Na… die Fahrkarte“, erklärte er.
Emily schüttelte misstrauisch den Kopf. Meinte er das ernst?
„Nein, habe ich nicht“, sagte sie vorsichtig.
„Ein Apfel oder altes Brot würden auch gehen.“
Wieder schüttelte Emily den Kopf. Der Junge griff in seine Jackentasche und holte eine Hand voll Zuckerstücke hervor.
„Hier, die kannst du nehmen. Ich habe genug“, sagte er und ließ die Zuckerstücke in Emilys Hand rieseln.
„Danke“, erwiderte sie überrascht, während sie den Zucker in ihre Tasche steckte. Dann schaute sie wieder zu den Bäumen, und Sekunden später tauchte die Bahn im Licht des Bahnhofs auf, wie eine Erscheinung aus einem Traum.
Es war eine uralte Straßenbahn mit zwei Wagen. Das rot gestrichene Metall rostete bereits an einigen Stellen, und Sprünge in den schmalen Fenstern waren mit Klebeband repariert worden. Das Glas selbst hatte man schwarz übermalt, so dass Emily nicht ins Innere der Wagen blicken konnte. An den Seiten der Bahn baumelten Laternen, und die Räder schleiften quietschend und holpernd an den Schienen entlang. Gezogen wurde das Gefährt von zwei Pferden mit seltsam milchigen Augen. Emily bekam den Mund kaum mehr zu, bis die Bahn rund um den Platz gefahren war und die Tiere dann direkt vor ihr und dem Jungen stehen blieben. Schnaubend drehten die Pferde die Köpfe und neigten sie zu den beiden Kindern. Erschrocken stolperte Emily rückwärts, aber der Junge lachte und sagte:
„Die haben’s eilig heute.“
Er streckte die flache Hand aus, und die Pferde fraßen in Sekundenschnelle den Zucker.
„Falls du mitfahren willst, solltest du ihnen deine Fahrkarte geben.“ Der Junge schaute belustigt auf Emily herunter. Verlegen rappelte sie sich auf. Sie schob die Hand in die Tasche, holte den Zucker hervor und streckte ihn den Pferden hin. Mit ihren weichen Lippen nahmen sie ihn auf und zermalmten ihn krachend zwischen den Zähnen. Emily schaute ihnen in die trüben Augen. Endlich begriff sie, dass die Pferde blind waren.
„Sie können nichts sehen“, murmelte sie.
„Ist auch besser so auf dieser Strecke“, erwiderte der Junge. Emily nickte wissend, obwohl sie natürlich keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Sie folgte dem Jungen, der um die Bahn herum ging und die Tür des hinteren Wagens öffnete.
„Nach dir“, sagte er höflich und trat zur Seite. Emily spähte ins Innere. Die Bahn war schmaler, als sie gedacht hatte. Es gab in jeder Reihe nur zwei Plätze, einen an jeder Wand. Laternen hingen von der Decke und tauchten alles in schummriges Licht. Der Wagen war leer.
„Du kannst ruhig einsteigen“, sagte der Junge.
„Oh. Natürlich.“ Emily hievte den Koffer die Stufen hoch. Dann setzte sie sich in der Mitte des Wagens auf einen Platz. Der Junge ließ sich auf den Sitz gegenüber fallen.
„Übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt“, fiel ihm ein. Er streckte Emily die Hand hin und sagte:
„Finn Myklebust.“
Emily schüttelte seine Hand und kam sich dabei ein bisschen albern vor.
„Emily Rubinstern“, nuschelte sie. „Und das ist meine Katze, Amethyst.“
Sie schlug die Klappe ihres Rucksacks zurück und ließ Finn hineinschauen.
„Ziemlich edler Name für ein Tier“, sagte er und strich der schlafenden Katze über den Kopf. Amethysts Ohren zuckten, aber sie ließ sich nicht stören und rollte sich enger ein.
„Ihr Spitzname ist Amy“, erklärte Emily. Darauf grinste Finn noch mehr, und Emily zog den Rucksack beleidigt zu sich ran.
Die Tür öffnete sich. Als Emily sich umdrehte, sah sie ein
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