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Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Titel: Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Richner
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schimmerte feucht. Als Emily genauer hinschaute, entdeckte sie viele kleine Wasserlöcher, und sogar die Bäume standen in Tümpeln. Es roch seltsam, nach faulem Holz und verwesenden Tieren. Emily atmete nur noch durch den Mund. Etwas weiter hinten lag das ausgebrannte Skelett eines riesigen Luftschiffes, das wohl irgendwann hier abgestürzt war.
    Moore, ratterte Emilys Gedächtnis herunter, können für den Menschen sehr gefährlich werden. Wer sich nicht auskennt, kann sich verirren oder tritt aus Versehen in einen Sumpf, der ihn langsam und unerbittlich in die Tiefe zieht. Manchmal werden diese Menschen dann Jahrhunderte später als Moorleichen gefunden. Das hatte sie mal in einem Buch gelesen.
    Emily schüttelte sich und verdrängte rasch die Vorstellung von Finn als halb vermoderter Moorleiche. Vorsichtig schob sie die Tür weiter auf und starrte in die Dunkelheit. Jetzt nahm sie jede Menge unheimlicher Geräusche wahr. Insekten zirpten, Holz knarzte, manchmal war ein leises Plätschern zu hören. Emily stieg langsam die Stufen des Wagens hinunter und trat einige Schritte vor, um zu den Pferden zu spähen, welche die Bahn zogen. Wie in Stein gemeißelt standen sie dort. Als Emily leise mit der Zunge schnalzte, zuckten ihre Ohren ein wenig.
    Dann lauschte Emily konzentrierter. Ein neues Geräusch hatte sich zwischen die anderen gemischt, erst fast unhörbar, dann immer deutlicher und näher. War dort nicht ein Schatten zwischen den Bäumen und kam er nicht auf sie zu? Vorsichtig wich Emily zum Wagen zurück.
    Wenn bloß Finn hier gewesen wäre, dachte Emily voller Panik. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Nur Finns Worte fielen ihr wieder ein:
    Steig auf keinen Fall aus!
    So vorsichtig und geräuschlos wie möglich ging Emily rückwärts die Stufen hoch. Ihr Herz schlug immer schneller. Die Schritte waren jetzt ganz nah. Äste knackten, Blätter raschelten, und dann, noch bevor Emily die Tür schließen konnte, sah sie ihn.
    Er war groß. Ein scharlachroter Umhang verhüllte ihn. Nicht einmal sein Gesicht war zu sehen, denn er hatte die Kapuze des Umhangs über den Kopf gezogen. Das Wesen führte ein schwarzes Pferd am Zügel hinter sich her. Auf dessen Rücken saßen zwei Gestalten, die Emily nicht genau erkennen konnte. Nur noch wenige Schritte waren sie von ihr entfernt.
    Das war es gewesen, was sie vorher aus dem Kutschenfenster gesehen hatte, fiel Emily plötzlich ein. Diesen Mann mit dem roten Umhang! Und jetzt war er hier…
    Emily knallte die Tür zu und wich zurück. Mit schrecklicher Deutlichkeit wurde ihr bewusst, dass im nächsten Augenblick das unheimliche Wesen die Straßenbahn erreichen würde.
    Ein Pferd wieherte. Jemand stieg polternd die Stufen hoch und hämmerte an die Tür. Emily stand reglos dort, mit angehaltenem Atem. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Herz zu schlagen aufgehört hatte.
    Die Tür öffnete sich. Der Mann mit dem roten Umhang füllte den ganzen Rahmen aus. In den Armen hielt er das benommene Mädchen. Dann machte er einen Schritt in den Wagen. Und gerade, als Emily dachte, sie würde im nächsten Moment ohnmächtig werden, sah sie ihn.
    „Finn“, keuchte sie. Er war hinter dem Mann eingestiegen.
    „Alles in Ordnung, wir haben sie gerade noch rechtzeitig gefunden“, erklärte Finn und wendete sich an den Mann. „Was meinst du?“
    „Sie muss so schnell wie möglich ins Sanatorium“, antwortete der. „Aber es ist sicherer, wenn sie in der Straßenbahn nach Arcanastra fährt. Ich reite voraus und sage Bescheid.“
    Der Mann legte das Mädchen behutsam auf den Boden und drehte sich um. Bevor er ausstieg, nickte er Emily zu. Dann war er verschwunden.
    Mit weit aufgerissenen Augen ließ Emily sich auf einen Sitz sinken. Finn stützte den Kopf des Mädchens.
    „Bist du in Ordnung?“, fragte er. Das Mädchen nickte zaghaft.
    Tausend Fragen wirbelten durch Emilys Kopf. Doch gerade, als sie den Mund öffnete, um die erste davon zu stellen, schaute Finn zu ihr.
    „Wir hatten ziemliches Glück“, sagte er leise.

Die verborgenen Bücher
    Großtante Sophia kam viel zu spät zum Bahnhof.
    „Emily, entschuldige, ich hatte völlig vergessen…“, rief sie schon von weitem, stolperte in der Eile über einen Gehsteig und fand das Gleichgewicht nur wieder, indem sie wild mit den Armen ruderte. Finn grinste, stand auf und nahm seinen Koffer.
    „Na, dann gehe ich mal, damit ihr euch in Ruhe begrüßen könnt. Wir sehen uns.“
    Und schon war er um die nächste Ecke

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