Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
wieder weg.“, antwortete Emily ehrlich.
„Und warum hat das Buch dir die Schrift dann überhaupt gezeigt?“, überlegte Emma.
Darauf wusste keiner eine Antwort.
Bald dachte Emily nicht mehr an das hüpfende Buch, sondern nur noch an ihr Vorhaben für diese Nacht. Von Sophias Abendbrot brachte sie kaum etwas hinunter, obwohl sie sich allmählich an die Spinatmarmelade gewöhnt hatte. Später versuchte sie im Wohnzimmer etwas zu lesen. Mühsam entzifferte sie die Sätze, während Sophia an einem Schnabelwärmer für Samantha C. häkelte. Die Ente saß nahe beim Kaminfeuer und döste vor sich hin. Dass Amy sie mit glühenden Augen beobachtete, schien sie nicht zu bemerken.
Nach kurzer Zeit gab Emily auf. Sie konnte sich unmöglich auf das Buch konzentrieren. In ihrem Kopf hatte nur noch der Gedanke Platz, dass sie um Mitternacht beim Bahnhof sein musste, um Finn bei seinem verrückten Plan zu helfen.
„Ach, du gehst so früh schlafen? Nun ja, im Herbst ist man eben müder“, sagte Sophia verständnisvoll, als Emily ihr eine gute Nacht wünschte.
„Hm“, nickte Emily. Sie war froh, dass ihre Großtante anscheinend nichts von ihrer Nervosität bemerkte.
Amethyst tapste hinter Emily her die Wendeltreppe hoch ins Dachzimmer und sprang dort aufs Fensterbrett. Emily setzte sich zu ihr. Während sie über die Stadt mit ihren Lichtern blickte, fühlte sie sich auf einmal sehr einsam. Sie dachte an ihre Eltern.
Irgendwo schlug eine Glocke zehn Uhr, halb elf… schließlich elf Uhr. Emily wusste, dass sie langsam aufbrechen musste, um vor Mitternacht beim Bahnhof zu sein. Ihr Herz klopfte schon wie verrückt.
„Wünsch mir Glück“, sagte sie und drückte Amethyst einen Kuss auf den Kopf. Im Schrank fand sie einen warmen Mantel, den sie anzog. Mit einer Laterne in der Hand ging sie leise die Wendeltreppe hinunter. Sie lauschte. Ihre Großtante war anscheinend bereits schlafen gegangen. Vorsichtig lief Emily durch die Bibliothek, über den Flur und hinunter ins Erdgeschoss. Mit der Laterne leuchtete sie in alle Ecken, bis sie zwischen einigen Bücherstapeln eine Katzenfigur entdeckte. Darin bewahrte ihre Großtante die Schlüssel auf. Emily schraubte den Kopf der Katze ab und holte aus dem Hohlraum den Hausschlüssel hervor. So leise wie möglich öffnete sie die knarzende Tür, zog sie hinter sich wieder zu und schloss sie ab. Dann atmete sie auf. Der erste Teil war geschafft.
Es war unheimlich, nachts allein durch die verlassenen Gassen Arcanastras zu gehen. Kalter Wind strich um die Ecken, die Fenster der Häuser waren erloschen, und die Straßenlampen warfen gespenstische Schatten. Die Geschäfte waren längst geschlossen. Mehr als einmal glaubte Emily, in einer Gasse jemanden zu sehen, aber wenn sie erschrocken zusammenzuckte und mit der Laterne in diese Richtung leuchtete, war da nie etwas zu sehen. Unbehaglich zog sie den Mantel enger um sich und eilte weiter. Sie wusste, im Vergleich zum Moor war die Stadt noch direkt gemütlich.
Emma, Miki und Finn warteten bereits beim Bahnhof. Finn trommelte nervös mit den Fingern auf die Bank. Neben ihm lag ein langes Stück Seil.
„Willst du es immer noch tun?“, fragte Emily, obwohl sie die Antwort kannte.
„Bestimmt“, sagte Finn.
Eine Weile saßen die Kinder schweigend dort. Die Laternen des Bahnhofs flackerten, und irgendwo in der Ferne bellte ein Hund.
„Ach ja“, sagte Finn auf einmal und streckte Emily die Mechanik hin, die sie ihm zum Reparieren gegeben hatte „Hätte ich fast vergessen. Ich habe einige Teilchen ersetzt und die Mechanik zurechtgebogen, aber sie funktioniert immer noch nicht richtig. Ich glaube allerdings, dass es kleine verborgene Fächer gibt. An die bin ich aber nicht rangekommen.“
„Danke“, sagte Emily erfreut. „Ich habe auch noch nicht viel rausgefunden… nur bei diesem Knopf hier weiß ich, wozu er gut ist.“
Sie drückte darauf. Die Gaslampen brannten jedoch genau so hell weiter wie zuvor.
„Funktioniert nicht“, murmelte Emily enttäuscht. Doch dann begannen einige Kieselsteine, die um die Bank herum auf dem Boden lagen, immer heller zu leuchten.
„Oh… sie funktioniert sogar besser als vorher!“, sagte Emily beeindruckt. Auch ihre Freunde betrachteten die leuchtenden Steine interessiert.
Vorsichtig klaubte Emily die Steinchen vom Boden, doch sie fühlten sich kühl an, auch wenn sie aussahen wie kleine glühende Kohlenstücke.
„Schön“, sagte Emily andächtig. Als sie nach einer Weile erneut auf
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