Hüter des Todes (German Edition)
königlichen Siegel mit den weiblichen Schnörkeln. Die letzten, rituellen Inschriften – erinnern Sie sich, wie ich sagte, sie sähen primitiv aus, wie dahingekritzelt? Und die Mumie selbst – ich hatte nur ganz kurz Gelegenheit, sie in Augenschein zu nehmen, aber mir ist aufgefallen, dass der Schnitt über dem Mund unpräzise war. Unvollständig.»
«Als wäre die Begräbniszeremonie überstürzt abgehalten worden», sagte Logan.
In diesem Moment ging ein beinahe unhörbar leises Rumpeln durch die Kammer, wie von einem fernen Erdbeben. Die Sicherheitsleute und mehrere der Arbeiter sahen nervös auf die Stützen. Doch das Rumpeln schien von oben gekommen zu sein, durch den Umbilicus, und als nichts mehr zu hören war, ging die Debatte weiter.
«Sie reden Unsinn», sagte Stone. «Das ist doch alles rein hypothetisch. Nicht beweiskräftig.»
«Da wäre ich nicht so sicher», widersprach Logan. Er redete langsam, während er noch über das nachdachte, was Christina Romero soeben gesagt hatte. «Sie müssen die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn die Krone, die wir hier in der dritten Kammer gefunden haben, dazu benutzt werden konnte, den Tod zu simulieren, ja zu üben – und damit einen Pharao im Endeffekt unsterblich zu machen und seine Gottheit zu sichern –, würde eine Königin sich das nicht genauso sehr wünschen wie ein König? Insbesondere eine Königin, die so mächtig und so eigensinnig war wie Neithotep?»
Logan verstummte.
«Sie wollen sagen …», begann Stone. «Sie wollen sagen, dass Neithotep, die Königin, den Platz Narmers in dessen Grab eingenommen hat?»
«Es ist die einzige Erklärung, die einen Sinn ergibt», sagte Christina. «Nichts sonst erklärt die widersprüchlichen Beweise, die ich Ihnen dargelegt habe.»
«Und es könnte auch erklären, warum die nachfolgenden Generationen Narmers Symbole und Praktiken falsch interpretierten», fügte Logan hinzu. «Schließlich war es nicht Narmer, der hier begraben lag. Er wurde nicht auf die richtige Art und Weise bestattet. Seine Frau hat sich wohl an seiner Stelle hier beerdigen lassen – und hastig obendrein, wie es scheint, vielleicht sogar vorzeitig.»
«Und was wurde aus Narmer?», fragte Ethan Rush.
«Wer weiß?», entgegnete Christina Romero. «Gift? Ein Dolch an der Kehle, spät in der Nacht im Ehebett? Vielleicht wurde er zusammen mit seinen Konkubinen getötet? Sie kennen die Legenden von Neithotep, Sie wissen, wie eigensinnig, blutdürstig und selbstsüchtig sie war. Es würde zu ihr passen. Vielleicht hat sie auch einfach nur gewartet, bis er eines natürlichen Todes gestorben war. Danach hat sie seine Leiche hierher begleitet, mit ihrem eigenen Gefolge, um beim Ritual seiner Bestattung zugegen zu sein. Nach einem vorher abgesprochenen Plan überwältigten ihre Wachen die seinen … und nun liegt sein Skelett irgendwo unten im Schlick des Sudd, zusammen mit all den anderen, und Neithoteps Mumie hat den Platz eingenommen, der ihm rechtmäßig zustand.»
Stone starrte die Ägyptologin an. Die Wut und die Unbeherrschtheit waren nach und nach aus seinen Gesichtszügen verschwunden. «Aber wenn Sie recht haben mit der … der Krone», sagte er, «dann durfte nur eine einzige Person sie benutzen. Narmer hätte bestimmt nicht gewollt, dass irgendjemand seinen Platz einnimmt, nachdem er in die nächste Welt gegangen ist, und auf diese Weise seine Unsterblichkeit und seine Lebenskraft kompromittiert. Er hätte dafür gesorgt, dass die Krone mit der Seele der Person verbunden wäre, die sie trug.»
«Und genau das ist es, was Neithotep getan haben muss», sagte Christina Romero. «Sie überlistete Narmer, ließ ihn töten und benutzte an seiner statt die Krone. Und dann, im Glauben an die eigene Unsterblichkeit, ließ sie sich in Narmers Grab beisetzen, das zuvor hastig umgewidmet wurde – wie die Siegel und die Inschriften zeigen.»
«Ist so etwas überhaupt möglich?», fragte Logan. «Ist das Grab eines Pharaos nicht als Ruhestätte für einen spezifischen Monarchen geschaffen, und nur diesen einen?»
«Eigentlich schon», sagte Christina Romero. «Aber offenbar dachte Neithotep, dass der mögliche Gewinn – ewiges Leben als allgewaltige Gottheit – das Risiko wert war. Wir brauchen viel mehr Zeit, um die Inschriften und andere Belege zu studieren.»
«Und warum die Hast?», fragte Stone. «Nachdem Narmer aus dem Weg war, hätte sie doch alle Zeit der Welt gehabt.»
Die Ägyptologin überlegte. «Mir fallen
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