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Hüter des Todes (German Edition)

Hüter des Todes (German Edition)

Titel: Hüter des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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etwas?»
    Logan überlegte kurz. «Gehört habe ich davon schon mal.»
    «Die meisten Menschen nehmen an, dass der Nil ein langer, breiter Fluss ist, der sich unbeeinträchtigt aus dem Herzen Afrikas bis ins Mittelmeer schlängelt. Weit gefehlt. Die ersten britischen Entdecker – Burton und Livingstone und die anderen – fanden das auf die harte Tour heraus, als sie plötzlich in den Sudd geraten waren. Aber wirf einen Blick auf das hier – es beschreibt den Sudd viel eloquenter, als ich das könnte.» Rush deutete auf ein Buch auf einem der Tische neben ihnen.
    Logan hatte es vorher nicht bemerkt, und jetzt nahm er es zur Hand. Es war eine zerlesene Ausgabe von Alan Mooreheads Die Quellen des Nil . Es war eine Geschichte über die Erforschung des Flusses. Er erinnerte sich, als Kind darin gelesen zu haben.
    «Seite neunundfünfzig», sagte Rush.
    Logan blätterte durch das Buch, fand die Seite und begann zu lesen.
Der Nil ist ein komplizierter Strom. Er fließt in breitem und recht regelmäßigem Verlauf durch die Wüste, schließlich wendet er sich nach Westen. Die Luft wird feuchter, die Ufer werden grüner, und das sind die ersten warnenden Anzeichen, die ankündigen, dass der Sudd vor einem liegt.
Auf der ganzen Welt gibt es keinen Sumpf, der furchtbarer wäre als der Sudd. Der Nil verliert sich in einem riesigen See von Papyrusgräsern, Schilfröhricht und verrottender Vegetation, und in dieser stinkenden Hitze gedeiht ein tropisches Leben, das sich seit Anbeginn der Welt kaum verändert haben kann; es ist so urtümlich und menschenfeindlich wie das Sargasso-Meer.

Dieses Gebiet ist weder Wasser noch Land. Jahrein, jahraus bringt die Strömung mehr treibende Vegetation heran und packt sie zu festen Klumpen zusammen, stellenweise über sechs Meter dick und so stark, dass ein Elefant darauf gehen kann. Doch dann brechen diese Klumpen auseinander, bilden Inseln und formen sich an anderer Stelle neu, und das wiederholt sich unentwegt und ohne Ende in tausend ununterscheidbaren Mustern.

Hier gibt es nicht einmal eine Gegenwart, geschweige denn eine Vergangenheit; außer auf den vereinzelten Inseln von festem Boden hat niemals ein Mensch in dieser Einöde aus treibendem Rohr und Schlamm gelebt oder leben können, nicht einmal ein wirklich Wilder. Die niederen Lebensformen gedeihen hier in irrem Überfluss, für den Menschen hingegen enthält der Sudd nichts außer Hunger, Krankheit und Tod.
    Logan klappte das Buch zu. «Mein Gott. Dieser Ort existiert tatsächlich?»
    «Und ob. Wir werden vor Anbruch der Dämmerung dort sein.» Rush verlagerte sein Gewicht auf der Bank. «Stell dir vor, eine Region von vielen tausend Quadratkilometern, weniger Sumpf als vielmehr ein Labyrinth aus Papyrusinseln und mit Wasser vollgesogenen Stämmen. Und Schlamm. Schlamm überall, wohin das Auge sieht. Schlamm, der tückischer ist als Treibsand. Der Sudd ist nicht tief, oft nicht tiefer als vier oder fünf Meter, doch er ist nicht nur unglaublich zugewachsen mit Wasserpflanzen, das Wasser ist außerdem so voller Schlick, dass ein Taucher die Hand vor Augen nicht sehen kann. Tagsüber wimmelt es im Wasser vor Krokodilen, nachts vor Moskitos in der Luft. Sämtliche frühen Entdecker mussten die Durchquerung aufgeben und den Sudd letztendlich umrunden. Der Sudd mag heutzutage nicht mehr ganz so abgelegen oder unpassierbar erscheinen wie zu der Zeit, von der Moorehead schreibt, aber es ist bei weitem kein Picknick. Der Sudd erstreckt sich in einem weiten, flachen Tal, und er breitet sich Jahr für Jahr weiter aus. Nur ein klein wenig, doch er breitet sich aus. Er ist wie ein lebendes Ding – und das ist der Grund, warum wir ein so schmales Boot brauchen. Den Sudd zu durchqueren ist, als versuche man, eine Nadel durch eine Baumrinde zu schieben. Jeden Tag umkreist ein Helikopter das Gebiet und kartiert die Wirbel und zeichnet die neuen Wege, die sich über Nacht gebildet haben. Wege, die sich von Tag zu Tag ändern.»
    «Dann ist das Boot also eine Art Eisbrecher», sagte Logan und dachte an die merkwürdigen Plattformen rechts und links des Bugs.
    Rush nickte. «Der geringe Tiefgang hilft, Hindernisse unter Wasser zu vermeiden, und der Heckpropeller liefert die rohe Kraft, die erforderlich ist, um Engstellen zu überwinden.»
    «Du hast recht», sagte Logan. «Es klingt tatsächlich wie die Hölle auf Erden. Aber warum sind wir …» Er unterbrach sich. «O nein!»
    Rush nickte. «O ja.»
    «Gütiger Gott.» Logan verstummte

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