Hüter des Todes (German Edition)
Stützen auf, die zur Stabilisierung und Sicherheit von einer Wand zur anderen angebracht worden waren. Die Wächterstatue des Apophis war mit einer Plane zugedeckt worden, was Christina mit einem Gefühl von Erleichterung zur Kenntnis nahm – die Gestalt hatte so lebensecht ausgesehen, so gewalttätig, dass sie sich beinahe davor gefürchtet hatte, ihr wieder zu begegnen, auch wenn ihre unermessliche kunsthistorische Bedeutung sie natürlich faszinierte.
Die Kammer erstrahlte im hellen Licht der Hochdruck-Natriumdampflampen, und Christina war erneut überrascht von der Schönheit und dem bemerkenswert guten Zustand der Artefakte. Allerdings bemerkte sie zu ihrer Verärgerung auch, dass nicht wenige der interessantesten und bedeutendsten Gegenstände bereits entfernt und durch vorläufige Archiv-Etiketten ersetzt worden waren, ohne jeden Zweifel das Werk von Fenwick March, diesem Bastard. Er konnte all die kostbaren Antiquitäten nicht schnell genug in seine dreckigen Finger kriegen, wie immer. Wäre es nach March gegangen, er hätte jede Grabungsstätte vollständig ausgeräumt und nichts zurückgelassen, was daran erinnerte, wie es einst ausgesehen hatte. Ihre eigene Philosophie war das genaue Gegenteil: untersuchen, stabilisieren, analysieren, beschreiben, dokumentieren – und anschließend, nachdem alles erfasst war, alles genau an dem Ort lassen, wo es gefunden worden war.
Die Rückwand der Grabkammer war mit einer großen Plastikplane verhängt. Dahinter lag absolute Dunkelheit. Das zweite Tor war, wie sie wusste, bereits vollständig abgetragen worden, auch wenn bisher noch niemand die zweite Kammer betreten hatte. Sie würden die Ersten sein, die das taten.
Wortlos nickte Stone den beiden Arbeitern zu. Sie kamen herbei, entfernten mit großer Behutsamkeit die Plane, falteten sie zusammen und legten sie beiseite. Ein schwarzes Rechteck aus leerem Raum kam darunter zum Vorschein.
Stone trat an die Schwelle zur zweiten Kammer. Tina folgte ihm, mit March dicht auf den Fersen. Hier, direkt am Eingang, konnte sie vage Umrisse im Innern erkennen. Ihr Mund wurde trocken.
«Bringen Sie eine von den Lampen her», befahl Stone.
Einer der Arbeiter rollte den starken Scheinwerfer herbei. Plötzlich war der Raum in gleißende Helligkeit getaucht.
Es war, als hätte jemand die Sonne eingeschaltet. Es war so hell, dass Tina sich abwenden musste.
«Mein Gott», sagte Stone mit seltsam erstickter Stimme. Einmal mehr war seine sorgfältig kultivierte Lässigkeit unter dem Eindruck von Narmers Grab von ihm abgefallen.
Nachdem Christinas Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, war sie imstande, die Einzelheiten der zweiten Kammer zu erfassen. Sie hob die Videokamera und begann zu filmen. Jede Oberfläche – Decke, Wände, selbst der Boden – war, wie es aussah, bedeckt mit massivem Gold. Daher die gleißende Helligkeit. Obwohl der Raum nur unbedeutend kleiner war als die erste Kammer, enthielt er sehr viel weniger Objekte. Es handelte sich in der Tat um vier Kanopenkrüge aus Kalkstein, welche die Eingeweide des mumifizierten Königs enthielten. Vor jedem der Gefäße stand ein kleiner Kasten, anscheinend ebenfalls aus massivem Gold. Eine Wand zierte eine große Malerei, die den Sieg Narmers über den König von Oberägypten zeigte. Ein weiteres Gemälde zeigte den Pharao auf einem Podium liegend, bereits tot in seinem Grab und in der Obhut eines Totenpriesters. An zwei gegenüberliegenden Wänden der Kammer standen zwei Schreine, jeder versehen mit einem Serech von Narmer in einem versunkenen Relief, mit seinem Krönungsnamen niswt-biti , König von Ober- und Unterägypten.
Es war eigenartig, dachte Christina – die Ägyptologen konnten die Zeichen zwar lesen, doch die richtige Aussprache blieb ein ungelöstes Rätsel. Die meisten Vorkommen der Phrase zeigten die phonetische Reihe nzw , wie beispielsweise auch die Pyramidentexte, doch hier war das feminine t erhalten geblieben. Seltsam. Andererseits war so vieles seltsam, was sie über Narmer und sein Grab herausgefunden hatte. Hier unten wirkte einiges überraschend modern , für das Alte Ägypten jedenfalls. Die Grabkammern, die königlichen Siegel, die Grabbeigaben, die Hieroglyphen-Botschaften, die so stark an das Buch der Toten erinnerten – sie waren aus der Zeit des Mittleren und des Neuen Königreichs, nicht aus der archaischen Periode, der ersten Dynastie der frühesten Pharaonen. Beinahe hatte es den Anschein, als wäre Narmer seiner Zeit viele
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