Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
fernhalten.«
Die nackte, ungeschminkte Wahrheit stand zwischen ihnen. Er fühlte den Wind in seinem Gesicht wie das Versprechen eines Kusses, wie die Berührung ihrer Finger, die Liebkosung ihres Haars.
Judith kam noch näher auf ihn zu und ihre dunklen Augen glitten über sein Gesicht und hefteten sich auf den frischen Kratzer. Ihre Fingerspitzen strichen so sanft über die kleine Wunde, dass er fühlte, wie sein Herz sich regte.
»Was ist passiert?«
Er wollte sie nicht belügen. »Das sollten Sie mich lieber nicht fragen.«
Er konnte es nicht lassen, ihre Handgelenke zu umfassen und sie noch etwas näher zu sich zu ziehen, bis er die verlockende Wärme ihres Körpers fühlen konnte und sie nicht mehr loslassen wollte – oder konnte. »Ich habe das Mittagessen mitgebracht.«
Ein kleines Lächeln zog an ihren Mundwinkeln und hellte die dunkle Ernsthaftigkeit ihrer Augen auf. »Haben Sie es selbst zubereitet?«
Fast hätte er die Wahrheit geleugnet, um ihr eine Antwort zu geben, die nach Thomas Vincent geklungen hätte, doch die Wahrheit rutschte ihm heraus, ehe er sie zurückhalten konnte. »Ja. Ich bin ein guter Koch.«
Sie zog die Augenbrauen hoch und in ihrer rechten Wange bildete sich ein kleines Grübchen. Er konnte es nicht lassen, mit dem Daumen über diese kleine Einkerbung zu streichen. Der Atem blieb ihr in der Kehle stecken.
»Dann ist es also echt.«
Er brauchte nicht zu fragen, wovon sie sprach; er wusste es. Er nickte und hielt ihren Blick fest, denn er wollte nicht, dass dieser Moment vorüberging. »Nach all der Zeit hätte ich das bei mir nicht mehr für möglich gehalten.« Auch das war eine von Stefan Prakenskijs Wahrheiten.
Sein Herz verkrampfte sich unerwartet. Er hätte es in einer Million Jahren nicht für möglich gehalten zu empfinden, was er jetzt empfand. Die Euphorie hätte verflogen sein sollen. Sein Verlangen hätte sich aufgelöst haben sollen, statt stärker zu werden – und es wurde immer noch stärker. Mit ihr zusammen zu sein war so, als sei er in einer Traumwelt gefangen, in einer kühnen, undenkbaren Phantasie.
»Was werden wir tun, Thomas? Das darf nämlich nicht passieren.«
Ihre Stimme, die kaum merklich stockte, das unschuldige Vertrauen, das sie in ihn setzte, der Glaube in ihren Augen, er sei ein anständiger Mann – als das erschütterte ihn, wie ihn nichts anderes hätte erschüttern können. Sie sah ihn an, als könnte er sich etwas einfallen lassen, um sie beide zu retten. Da war es wieder, das Verlangen, ihr Ritter in der glänzenden Rüstung zu sein. Seine Rüstung war schon vor langer Zeit angelaufen und stumpf geworden, und er gestand sich ein, dass er keine Ahnung hatte, wie er mit dieser Situation umgehen würde, aber er würde nicht fortgehen.
Seine Finger schlangen sich um ihren Nacken und er zog sie noch einen Schritt näher. Thomas Vincent war längst verschwunden und Stefan Prakenskij dachte im Traum nicht daran, diese Frau aufzugeben, nicht hier und nicht jetzt.
»Ich werde dich küssen.«
Sie blinzelte mehrfach schnell hintereinander. Diese langen, dichten Wimpern verknoteten seine Eingeweide und seine Lenden strafften sich. Seine körperliche Reaktion auf sie war weiterhin furchteinflößend und berauschend; sie war sogar noch stärker als am Vorabend. Diese Frau hatte ihn so fest im Griff, dass er sich nicht befreien konnte. Er war bereits verloren und lechzte nach den echten Gefühlen, die sie in ihm hervorgerufen hatte. Es war, als öffnete sie alle Schleusen in ihm. Seine Bedürfnisse strömten aus ihm heraus und um sie herum.
»Hältst du das für eine gute Idee?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, eine Liebkosung, die seinen Schwanz schmerzhaft prall werden ließ.
»Nein.« Er wusste es besser. Er wusste, dass er für alle Zeiten verdammt sein würde. »Aber ich werde dich trotzdem küssen.«
»Es könnte grässlich sein«, hob sie mit momentan aufflackerndem Optimismus hervor.
Er musste lächeln. »Vielleicht. Wir können es nur hoffen.«
Im ersten Moment zögerte sie. Ihre Zähne versanken in ihrer Unterlippe und verrieten ihre Nervosität. Sie nickte langsam, obwohl sie genauso gut wie er wusste, dass das eine ganz schlechte Idee war. »Also gut.«
Er sah ihr lange Zeit fest in die Augen. Für immer würde ihm nicht lange genug sein, um in ihren Augen zu versinken. Er blickte in ihr Inneres, in etwas so Schönes, dass sein Herz wehtat. Sie rührte sich nicht und stieß ihn nicht von sich, sondern nahm ihn so in
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