Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
Ihre Stimme wurde bitter. »Ich konnte nicht einmal die sterblichen Überreste meines Bruders holen und sie nach Hause überführen. Jean-Claude wurde wegen Rauschgifthandels, Waffenschmuggels und Menschenhandels, aber nicht wegen Mordes verhaftet. Und er hat meinen Bruder ermorden lassen. Er ist für seinen Tod verantwortlich.«
Sie blickte zu ihm auf. »Ich spreche mich selbst nicht von meinem Anteil an dem, was passiert ist, frei, komm bloß nicht auf den Gedanken, aber ich habe mir das Gefängnis angesehen, in dem er sitzt, und ich habe alles darüber gelesen, was ich finden konnte. Frankreich gilt als ziemlich übel, wenn es um Gefängnisse geht, aber Jean-Claude hat eine behagliche kleine Zelle und geht von dort aus weiterhin unbeirrt seinen Geschäften nach.«
»Woher weißt du das?
Sie zuckte die Achseln und trat einen Schritt zurück. Stefan ließ sie los. Seine Arme fielen an seinen Seiten hinunter und seine Gedanken überschlugen sich.
»Hast du ihn besucht?«
Sie sah ihn finster an, mit grimmiger Miene und Abscheu in den Augen. » Niemals. Ich werde ihm nie im Leben die Genugtuung gönnen, mich zu sehen und zu wissen, was er mir genommen hat, und das nur, weil er es konnte.«
Stefan wählte seine Worte mit größter Sorgfalt. Die Intensität der Emotionen, die auf ihn einschlugen, hatte ein klein wenig nachgelassen.»Glaubst du, er hat diese Männer hinter dir hergeschickt, weil er dich zurückhaben wollte? Oder könnte es ihn erschreckt haben, was du gesehen hast, und er hat vielleicht befürchtet, du würdest gegen ihn aussagen? Oder hat er dir etwas gegeben, was er wiederhaben wollte?«
Sie blickte sofort in sein Gesicht auf.
»Reiche Männer machen teure Geschenke. Oft verlangen sie diese Geschenke in einem Wutanfall zurück, vor allem dann, wenn es sich um Familienerbstücke handelt.«
»Ich glaube, er hat diese Männer aus reiner Gehässigkeit auf mich angesetzt. Er hat einmal zu mir gesagt, ich könnte ihn niemals verlassen – das würde er nicht dulden. Ich war jung und dumm genug, um außer mir vor Freude zu sein. Ich dachte, das heißt, er liebt mich und wird alles, was zwischen uns schiefgeht, immer wieder in Ordnung bringen.«
Er streckte seine Hände aus. Judith schreckte vor ihm zurück. Er schüttelte den Kopf. »Tu das nicht.« In seiner Stimme schwangen Härte und Autorität mit. Er dachte gar nicht daran, sie zu verlieren, nicht jetzt. »Wir sind schon so weit gegangen, Judith, dass ein Rückzug zwecklos ist. Sieh mich an.«
Er breitete seine Arme zu einer Geste aus, die das ganze Haus umfasste. »Ich bin noch auf den Füßen. Du hast das ganze grauenhafte Ereignis noch einmal durchlebt und dieselben intensiven Gefühle gehabt, und ich kann damit umgehen.«
Judith seufzte und entfernte sich von ihm. Sie stellte sich ans Fenster, um auf ihre Gärten hinabzublicken, tief durchzuatmen und um Selbstbeherrschung zu ringen. Stefan folgte ihr und nutzte die breite Fensterreihe, um die Landschaft gründlich abzusuchen. Die leuchtend bunten Blumen schimmerten in der sanften Brise und er fühlte sofort, dass die Intensität von Judiths Gefühlen nachließ. Schritt für Schritt brachte sie ihre leidenschaftliche Natur langsam wieder unter Kontrolle.
Er hatte nichts gegen Leidenschaft oder Feuer. Er konnte mit beidem umgehen. Und er konnte auch mit ihrem Kummer und mit ihren Tränen umgehen. Sie gehörte ihm. So einfach war das. Sie gehörte ihm. Er hatte die Absicht, sie mit allem, was sie brauchte, zu versorgen. Als sie zitterte, kam er näher zu ihr und rieb ihre Arme, um sie zu wärmen.
»Das geht mir alles viel zu schnell«, murmelte sie kopfschüttelnd.
»Du traust niemandem«, verbesserte Stefan sie sanft. »Ich übrigens auch nicht, aber das tut der Tatsache keinen Abbruch, dass wir bereits hier sind. Lass uns zu Mittag essen, Judith. Zeig mir dein Haus. Geben wir uns etwas Raum zum Atemholen.«
»Du glaubst, du hättest mich bereits von meiner schlimmsten Seite gesehen?« Sie sah ihn über ihre Schulter an. »Oh nein, Thomas, keineswegs. Ich wünschte, das wäre das Schlimmste an mir.«
Sie war wild entschlossen, ihn zu vertreiben, selbst wenn sie ihm ihre schlimmsten Geheimnisse verraten musste. Für sie war er Thomas Vincent, ein anständiger Mann. Sie hatte keine Ahnung, dass sie Stefan Prakenskij selbst an ihrem schlechtesten Tag nicht das Wasser reichen konnte, was die Schwere ihrer jeweiligen Sünden anging.
Er senkte den Kopf und brachte seinen Mund an ihr Ohr.
Weitere Kostenlose Bücher