Hütet euch vor Harry
fühlte sie sich auf einmal besser.
Sie flüsterte den Namen.
Einmal, zweimal…
Dann schaute sie zum Fenster, dessen Rechteck in der Wand stand wie gezeichnet.
Nichts bewegte sich hinter der Scheibe. Da lag die Dunkelheit einer normalen Sommernacht. Keine Spur von Harry. Und doch war er da.
Jane spürte dies mit jeder Faser ihres Körpers. Sie hatte das Gefühl, in einem Gefängnis zu sitzen, das einzig und allein aus Harry bestand, einem Kraken wesen, das mit seinen Fangarmen überall hinlangte und sich die Beute holte.
Jane war zu einer solchen Beute geworden.
Die Angst nahm zu. Sie zeigte sich auch körperlich, denn Jane begann zu zittern und zu fiebern. Ein Schüttelfrost überfiel sie und ließ sie mit den Zähnen klappern. Unter dem Stoff des Jogging-Anzugs spürte sie das durchgeschwitzte Laken.
Mein Gott, was war da nur? Wo steckte Harry? Würde er sich zum erstenmal zeigen, oder blieb er auch weiterhin nur ein furchtbarer, bedrückender Alptraum?
Sie war jetzt soweit, daß sie ihn sehen wollte. Sie wußte, daß es ihn gab, daß er nicht nur ein Hirngespinst oder ein Alptraum war.
Harry existierte, und er hatte es geschafft, nach London zu kommen. Er mußte sich sogar in ihrer Nähe befinden, denn nie hatte sie seine Anwesenheit dermaßen intensiv gespürt wie jetzt.
Es hatte keinen Sinn mehr für Jane, noch länger auf das Fenster zu starren. Dort ließ er sich sowieso nicht blicken. Das war nur eine Ablenkung, denn es gab noch eine andere Möglichkeit.
Der Flur war für Jane einsehbar.
Noch schwamm dort der blasse Lichtschein aus Lady Sarahs Zimmertür.
Die beiden Räume lagen sich nicht direkt gegenüber, so konnte Jane nicht in den anderen hineinschauen.
Aber sie hörte das leise Schnarchen der Horror-Oma. Sie hatte es nicht geschafft, wach zu bleiben, war eingeschlafen und würde ihr kaum zu Hilfe eilen können.
Freie Bahn für Harry?
Jane ging einfach davon aus, daß er diesen Weg wählen würde. Sie verließ sich da auf ihr Gefühl, das die Angst noch nicht hatte begraben können.
Der bleiche Lichtschein lag dort wie hingegossen. Nichts regte sich, kein Schatten durchwanderte ihn, und trotzdem glaubte Jane daran, daß er schon im Haus war.
Für Harry gab es keine Mauern, keine Wände, keine Hindernisse. Er war anders, er war besser, viel besser.
Da Jane zu lange auf einen bestimmten Punkt gestarrt hatte, war es anstrengend für ihre Augen geworden. Sie mußte sie reiben, sie wollte ihre Sicht verbessern und auch ihre Konzentration.
Und sie hatte Glück!
Etwas passierte mit dem Licht. Es sah so aus, als würde eine Wolke hinduchgleiten, die für einen winzigen Moment aufflimmerte und dann wieder verlöschte.
Nichts mehr…
Sie schluckte. Hatte sie sich getäuscht? Jane spürte die Unruhe und die Angst. Beides klebte an ihr, wollte nicht mehr weichen, und sie dachte an ihre Träume.
Da hatte sie Harry gesehen.
Da war er ein schwarzer, drückender Alp gewesen, ein schreckliches Gebilde, das die Furcht in ihren Körper hineingepreßt hatte. Aber da war er noch weiter entfernt gewesen. Im Gegensatz zu dieser Nacht, und Jane wußte, daß er da war.
Ja, er war gekommen! Zu ihr, in ihr Zimmer!
Sie hörte ihn. Und es war ein schrecklicher Laut, der an ihre Ohren klang.
Im ersten Augenblick versteifte sie sich, als sie dieses hechelnde und gleichzeitig keuchende Geräusch vernahm, als wäre ein gewaltiges Monster dabei, tief Luft zu holen. Es saugte die Luft ein, die Jane umgab, und es nahm ihr die Luft zum Atmen.
Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Sie würgte, sie wollte etwas tun, aber sie konnte nicht. Es war wie ein Zwang, der ihr befahl, sich nur auf das schreckliche Atmen zu konzentrieren.
Nichts ging mehr…
Harry war da.
Und Jane spürte ihn. Es war eine Berührung, eine klebrige Kälte, die über ihr Gesicht strich, die den Ekel in ihr hochsteigen ließ. Sie hatte die Augen weit aufgerissen, weil sie ihn sehen wollte, doch sie hörte ihn nur.
Das Keuchen war verstummt, doch die Stimme, mit der er sprach, hatte fast den gleichen Klang.
»Du hast mich gespürt, Jane Collins. Du hast bemerkt, daß ich komme. Keiner sonst, nur du…«
Jane schwieg.
Er sprach weiter. »Weil du es gespürt hast, mußt du etwas Besonderes sein, und ich habe dich als gefährlich eingestuft. Ich bin aus weiter Ferne gekommen, aber jetzt habe ich mein Ziel erreicht. Ich bin bei euch, ich bin in London. Ich bin euch schon sehr nahe, ich weiß über vieles Bescheid, und ich werde nicht von
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