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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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wieder anvertraut hatte, war nicht frei, sondern anderweitig liiert. War sie einfach nicht gut genug? Ihre Männer gingen mit einer anderen fort oder hielten sie als Zweitfrau. Irgendwann hatte ihre Mutter gesagt: »Du bist nicht falsch. Du bist ein wunderbarer Mensch. Du suchst nur an den falschen Stellen. Du nimmst immer die ohne Herz, mein großes, dummes Kind.«
    Ihre Mutter, die auch gegangen war. Es waren so viele gegangen in den letzten zwei Jahren. Wo sollte sie hin mit ihrem Schmerz? Sie hatte sich ganz gut eingerichtet in ihrem Leben, in ihrem Beruf, der gottlob wenig Zeit ließ, über Freizeit oder Familie nachzudenken. Aber nun kehrten die Geister zurück. Schattengestalten standen in den Türrahmen und verdunkelten die Räume dahinter.
    Irmi fuhr wieder nach Hause. Trank Kaffee in der Küche, die wieder mal unaufgeräumt war. Kater lag in voller Länge auf dem Tisch. Es gelang ihr, ihre Kaffeetasse im Kringel von Katers Schwanz zu platzieren, ehe sie im Murnauer Telefonbuch blätterte. Doch sie konnte keine Sabine und Martin Maurer mehr finden.

    Eigentlich wollte sie im Büro weitersuchen, doch gerade in dem Moment kam der Anruf aus der Rechtsmedizin. Fischer war an Herzstillstand gestorben.
    »Was hat den denn ausgelöst?«, fragte Irmi verblüfft.
    »Ja, nun, ein Infarkt.«
    »Wie: ja, nun? War sein Herz geschädigt, irgendwas verengt?«
    »Nein, er …«
    »Jetzt passen Sie mal auf. Mir reicht das nicht. Machen Sie weitere Tests!«
    »Machen wir ja, er hatte ungewöhnlich geweitete Pupillen. Seine Leber war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Wir sind noch dran. Das war nur eine erste Zwischenmeldung. Da legen Sie doch immer so viel Wert drauf?«
    Irmi schluckte. »Ja, danke.« Da hatte sie wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen. Sie spürte, dass ihre innere Anspannung mit Martin zu tun hatte.
    Ihre Nachforschungen ergaben, dass unter der Adresse der Maurers gar niemand wohnte. Merkwürdig, das Ganze. Beide waren zwar noch dort gemeldet, lebten aber augenscheinlich nicht mehr da. Und die Tochter, die mittlerweile siebzehn sein müsste, war ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt.
    Als Irmi weitersuchte, schwappte plötzlich eine gewaltige Übelkeitswelle über sie hinweg. Das Mädchen war vor einem knappen Jahr verstorben. Vor diesem Hintergrund war die Formulierung »vom Erdboden verschluckt« mehr als zynisch.
    Ob das, was sie nun vorhatte, sinnvoll war oder nur das Ergebnis einer Panikattacke, war Irmi egal. Sie ging in die Küche, wo Kathi gerade unter Husten eine Semmel mit viel Fleischsalat verdrückte.
    »Bist du nicht krank? Du siehst furchtbar aus.«
    »Ach, Scheiß drauf«, krächzte Kathi. »Das wird schon weggehn. Der Arzt hat mir ein paar Sachen aufgeschrieben.«
    Irmi zuckte mit den Schultern. »Steck uns bloß nicht an, hörst du? Ich bin mal kurz weg. Hak doch bitte in der Pathologie nach, was da los ist mit diesem Lifterer. Ein erstes Statement besagt, dass es ein Herzstillstand war.«
    »Warum war das dann nicht einfach ein Herzinfarkt?«, fragte Kathi und hustete.
    »Weil uns mit einem Herzinfarkt doch fad würde.« Irmi probierte einen locker-flockigen Ton und flüchtete, ehe Kathi noch was erwidern konnte.
    Es war wie eine Reise in die Vergangenheit. Sie umrundete Murnau, fuhr am Staffelsee-Gymnasium vorbei, bog ab, so als wäre sie erst gestern hier gewesen. Alles fast wie damals, eine Baulücke verdichtet, ein paar neue Häuser. Martins Haus sah aus wie immer. Die Rollos waren halb heruntergelassen, der Rasen war gemäht.
    Zögernd kam sie näher, öffnete das Gartentörchen, läutete an der Tür. Das Klingelschild fehlte. Ein Gong ertönte, ein viel zu gewaltiges Geräusch für so ein kleines Haus. Nichts. Sie klingelte erneut und fuhr dann herum. Hinter ihr stand eine Frau, die etwa in ihrem Alter sein musste.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich suche die Maurers.« Das ging nur schwer über ihre Lippen: die Maurers – das war sie auch fünf Jahre lang gewesen, bevor sie ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte.
    »Die leben nicht mehr hier«, erklärte die Frau.
    »Das Haus sieht so bewohnt aus. Der Rasen …«
    »Ich hüte es ein bisschen. Bis man weiß…« Die Frau brach ab und sah sie skeptisch an.
    Irmi zog ihre Dienstmarke heraus und stellte sich vor. »Es wäre wichtig für mich, Genaueres über den Verbleib der Familie zu erfahren. Und Sie sind?«
    »Helga Mayr. Kommen Sie doch mit herüber. Ich mach uns einen Kaffee.«
    Sie bat Irmi, sich draußen zu setzen.

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