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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Pubertierenden. Ein sehr klares Mädchen, ich wäre froh, wir hätten mehr davon. Eben kein Komasaufen, maximal ein Gläschen Sekt zum Geburtstag. Jedenfalls hatte Ann-Kathrin dann einen Freund, er sechzehn, ebenfalls so ein junger Mann, wie es sie kaum noch gibt. Gute Schulnoten, prima Lehrvertrag, die große Liebe.« Sie lächelte wehmütig. »Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mir ist das Gefühl abhanden gekommen. Diese Liebe, die nicht fragt, nicht bettelt, nicht taktiert, nicht zweifelt, einfach nur Liebe. Wahrscheinlich geht so was nur mit der ersten Liebe, mit einer Reinheit der Seele, die mit jedem Jahr mehr Dreckspritzer kriegt.«
    Irmi war irgendwie peinlich berührt. Sie mochte so einen Seelenstriptease von Fremden nicht und wusste doch tief drinnen, dass das ein Teil ihres Jobs war. Frauen waren einfach so, redeten über Emotionen wie Männer über Fußballergebnisse. Sie konnten trauern und schreien wie Klageweiber, leiden und zerbrechen und mit Selbstmord drohen und am nächsten Tag mit neuer Frisur und grandios hohen Stiefeln weitergehen. Bis zum darauffolgenden Tag, wo wieder alles ganz anders war. Bei Befragungen von Frauen erfuhr sie viel, manchmal zu viel.
    »Martin ist ausgeflippt. Verbote, Hausarrest, das volle Programm, das natürlich nur Gegenangriffe provoziert hat. Die beiden haben sich natürlich getroffen, tausend Lügen gelebt, gottlob eine vernünftige Oma an Bord gehabt, die ihre Treffen mit allen möglichen erfindungsreichen Geschichten gedeckt hat.«
    »Dann hat die Seele von diesem Mädchen aber auch schon früh ihre Dreckspritzer abbekommen«, sagte Irmi leise und dachte an Martin, der so kalt gewesen war.
    »Ja, leider. Sie musste lernen, dass die reine Liebe Missgunst hervorruft. Sie musste lernen, dass man ohne Lüge nicht durchs Leben kommt, und ich war wahnsinnig wütend darüber. Da machen zwei junge Menschen einfach gar nichts Verwerfliches, tun keinem was zuleide, machen alles richtig und werden dafür bestraft! Sie waren oft bei mir. Ich war ein bisschen die Tante und die schwertschwingende Kämpferin für die Gerechtigkeit. Ich hab mich eingemischt, wo andere weggesehen haben. Und ich habe den beiden ab und zu mein Bootshaus überlassen.«
    »Was? Das ist ja Kuppelei«, rief Irmi.
    »Ach, kommen Sie, ich kenn die Rechtslage nicht so genau wie Sie, aber was soll das? Ist es besser, wenn sich die jungen Leute in alten Bauwagen verstecken, Mamas Auto klauen, um darin … Na, Sie wissen schon? Das war doch kein Mädchen, das rumhuren wollte. Sie hat ihre erste große Liebe erlebt. Vor dem Jungen habe ich Respekt. Er hat das alles mitgemacht, Verständnis gehabt, ist auf unmöglichen Bus- und Zugverbindungen durch die Gegend geeiert, nur um sie zu sehen. Welcher Junge mit sechzehn macht denn so was für eine Frau?«
    »Stimmt«, murmelte Irmi. »Und wenn es kompliziert wird, ist der männliche Fluchtreflex doch sehr ausgeprägt. Aber zurück zu dem Mädchen.«
    »Als sie sechzehn wurde und Christian neunzehn und mit seiner Lehre fertig war und übernommen wurde, sind sie zusammengezogen. Mit der Oma. Ein Trio der Ausgestoßenen und Verleumdeten.« Sie schluckte schwer. »Und dann kam der Unfall.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Ein Verkehrsunfall. Sie lief mit ein paar anderen Kids an einer Straße entlang und wurde von einem Auto erfasst.«
    Die Frau hatte Mühe weiterzusprechen. Irmi wartete. In dem ganzen Gespräch war kein einziges Mal von der Mutter die Rede gewesen. Von Irmis Nachfolgerin. »Was hatte Martins Frau denn zu all dem gesagt?«, fragte sie schließlich. »Ich meine, vor dem Unfall.«
    »Sie hat sich auf Martins Seite gestellt. Ann-Kathrin fühlte sich so verraten. Sie hatte ihrer Mutter anfangs noch was von Christian erzählt. Auch von den heimlichen Treffen. Ihre Mutter war es, die sie verraten hat. Das war für das Mädchen fast noch schlimmer als das ganze Chaos, das eh schon tobte.«
    Sabine, ja das passte zu ihr. Sabine, die loyale Ehefrau. Die sie, Irmi, nie gewesen war. Sabine hatte die richtige Methode zur Behandlung von Martin gefunden: nachgeben, Schnauze halten, anbeten.
    Auf einmal hatte Irmi das Gefühl, dass etwas auf ihrer Brust lastete, das immer schwerer wurde. Sie hatte Martin seinerzeit verflucht. Eine schwarze Macht hatte ihr wohl Gehör geschenkt. Martin war es nicht gut ergangen. Noch schlimmer aber musste es für Sabine gewesen sein. Auf einmal hatte Irmi solches Mitleid mit ihr. Martin hatte sich nicht geändert, die andere

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