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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Gesicht.
    »Letztlich reicht einer, der Ihre Visionen teilt. Der kommt. Da bin ich sicher.« Das war keine Plattitüde. Irmi war davon überzeugt, dass diese junge Frau ihren Weg machen würde.
    »Na dann!« Sie lächelte müde. »Ich bin die nächsten Wochen daheim, rufen Sie mich wegen Papa an?«
    »Natürlich. Kommen Sie zurecht?« Hatte sie das nicht gestern erst gefragt? Sie war so hilflos. Was wollte man auch sagen?
    »Ja, ich kümmere mich um alles. Das lenkt ab. Schlimm wird es erst, wenn alles vorbei ist. Nach der Beerdigung. Wenn die letzten Gäste weg sind. Ich hab gestern Nacht noch Tante Caro in Kanada angerufen. Sie kommt.«
    »Gut«, sagte Irmi.
    Dann verabschiedete sie sich. Bubi, der roch wie ein Fichtennadelbad, klopfte sie den Hals.
    Brischitt ließ sie ein paar Meter laufen und rief ihr dann hinterher: »Und wenn die Stihl mal wieder nicht anspringt, ruf ich Sie an!«
    Irmi drehte sich um. »Gerne, wenn ich dann ein paar Bäume fällen darf.«
    »Da findet sich was. Wir haben hundertzehn Hektar.«
    Irmi hob die Hand zu einem angedeuteten Winken.
    Ihr Beruf brachte sie immer wieder mit Leuten zusammen, die interessant waren und sehr sympathisch. Sie fühlte sich Brischitt nahe. Fast wie einer jüngeren Schwester oder einer Tochter. Es gab Wahlverwandtschaften, die mit einem kurzen Gespräch begannen, das genügte, um im Herzen etwas anzurühren. Brischitt war sicher jünger als Kathi – und doch so viel erwachsener. Kathi führte gern mal ihren Stress mit Kind und Beruf ins Feld, aber eigentlich hatte sie bis heute keine Verantwortung übernommen. Alle Verantwortung ruhte auf Kathis Mutter, und eigentlich war das für die kleine Sophia auch das Beste: die erdige, besonnene Großmutter. Brischitt hatte sicher mehr durchstehen müssen als Kathi. Irmi wusste genau, wie es war, einem geliebten Menschen beim Sterben zusehen zu müssen. Insbesondere, wenn dieser Mensch die eigene Mutter war.
    Diese verdammten Abschiede, die immer mehr wurden. Ein Leben, das immer mehr Menschen verließen. Leere Räume. In Häusern und Köpfen. Und plötzlich tauchte Martin wieder in ihrem Kopf auf. Vor zwanzig Jahren war er ein windiger Jungbanker in Garmisch gewesen. Als sie geheiratet hatten, war sie die Starke gewesen und er derjenige, der eine starke Schulter gesucht hatte. Er war ja auch so allein gewesen …
    Erst nach und nach hatte Irmi begriffen, wie typisch das für ihn war: Immer wieder hatte er komplett mit seinem Vorleben gebrochen. Weder aus der Schule noch aus der Lehrzeit hatte er irgendwelche Freunde herübergerettet. Sie hatte sich anfangs noch gewundert, schließlich war er ein sehr offener Mensch gewesen. Er gewann schnell die Sympathien, denn er war charmant. Es hatte lange gedauert, bis Irmi hinter die Kulissen geblickt hatte. Letztlich waren es seine Eltern gewesen, die ihr die Augen geöffnet hatten. Immer schon hatte der Bua seine ehemaligen Freundinnen komplett aus seinem Leben gestrichen. Er begann stets neue Abschnitte, rigoros und selbstgefällig. Er zog an neue Orte, er suchte sich neue Bekannte, nicht Freunde.
    Irmi erinnerte sich noch gut an Alfred, Lissis Mann. Er hatte mal mit echter Wehmut in der Stimme gesagt: »Der Martin ist mir eine treulose Tomate. Tageweise saß der bei mir, und dann hat er nie mehr ein Lebenszeichen von sich gegeben.« Ja, Martin hatte vor allem nächteweise Bier in Alfreds Herrensalettl getrunken, das an die Maschinenhalle angebaut war.
    Aber dann? Er war mit ihrer Nachfolgerin Sabine nach Murnau gezogen. In ihrer ersten Verzweiflung war Irmi immer wieder an dem Haus vorbeigefahren. Sabine war schwanger gewesen, vier Monate nach der offiziellen Trennung war das Kind gekommen. Martin, der ihr gegenüber immer beteuert hatte, dass er Kinder hasse, war Papa geworden. Mit dem Kind auf dem Arm hatte er in seinem gutbürgerlichen Garten gestanden und mit einer Nachbarin geplaudert, während sie in ihrem Auto gesessen und sich in ihrem Elend gesuhlt hatte. Sie hatte Martin und Sabine verflucht. Hatte ihnen die Pest an den Hals gewünscht und Schlimmeres. Sie war niemals souverän damit umgegangen, hatte nie diese Phasen von Liebe zu Verzweiflung, dann zu Hass und schließlich zur Gleichgültigkeit oder mildem Verzeihen durchlaufen. Sie hatte ihm nie verziehen. Die Zeit hatte keine Wunden geheilt, aber die Dinge immerhin verblassen lassen. Aus knalligen Ölfarben war ein verblichenes Aquarell geworden. Aber das Bild war immer noch da.
    Der erste Mann, dem sie sich

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