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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Bericht der Gerichtsmedizin, den Anderl Riedele zitiert hat, spricht eindeutig von einem gesunden Mann, der entweder das Zeug injiziert bekommen hat oder sich selbst die Spritze gesetzt hat. Die Einstichstelle lässt leider beide Varianten zu.«
    »Scheiße!« Kathis Stimme erstarb.
    »So, Lady! Du gehst jetzt nach Hause. Ohne Widerrede. Hau ab. Sonst lass ich dich abführen.«
    Die Widerrede blieb tatsächlich aus. Aber nur weil Kathi inzwischen wirklich stumm war. Dafür schenkte sie Irmi einen flammenden Blick, der sie umgebracht hätte, wenn Blicke töten könnten.
    Als Kathi draußen war, wandte sich Irmi an Andrea. »Haben wir was wegen der Hütte?«
    »Ja, deshalb bin ich gekommen. Die Franzhütte hat zwei Besitzer. Benannt ist sie offenbar nach dem einen, Franz Utschneider. Der Mann hat außerdem noch ein Haus in Garmisch. Anscheinend ist er gerade oben auf der Hütte, weil die eine Pressekonferenz vorbereiten. Ich hab gesagt, wir kämen hoch. War das falsch?«
    Nein, das war goldrichtig, frische Luft war ein probates Mittel. »Passt schon, Andrea, geh schon mal vor. Ich komme gleich. Ich muss nur noch g’schwind telefonieren.«
    Kaum war Andrea draußen, griff sie zum Hörer. Sie sah es als ihre Pflicht an, Brischitt zu informieren.
    »Brischitt, hatte Ihr Vater jemals mit Diabetes zu tun? Oder sonst jemand aus der Familie?«
    »Nein, wieso?«
    Als Irmi erzählte, dass ihr Vater wahrscheinlich durch eine Insulinspritze getötet worden war, blieb es am anderen Ende eine Weile lang ganz stumm.
    »Brischitt?«
    »Dann war es Mord?«, fragte Brischitt ganz leise.
    »Wir sind noch am Anfang. Alles, was Ihnen einfallen könnte, ist wichtig. Gibt es wirklich keine Menschen im Umfeld, die Zugang zu Insulin haben?«
    »Ich kenne jedenfalls keine.«
    »Feinde?«
    »Alle und keine. Wie gesagt, die Franzhütte hat er bekriegt.«
    »Brischitt, wenn Ihnen irgendwas einfällt, melden Sie sich bitte. Und wenn Sie Hilfe brauchen, auch.«
    Irmi fühlte sich elend. Das arme Mädchen. Allein mit einem Riesenhof, zwei Pferden und einem Lkw. Sie straffte die Schultern und ging zu Andrea hinüber.
    »Was für einen Wagen nehmen wir?«, wollte Andrea wissen. »Das ist eine Forststraße.«
    Irmi überlegte kurz. Kathi hätte sie so einen Vorschlag nie unterbreitet. Aber Andrea? Warum eigentlich nicht!
    »Du kannst das ablehnen«, meinte Irmi. »Aber ich könnte mir gut vorstellen, zu Fuß zu gehen.«
    »Klar, super!« Andrea war ehrlich begeistert. »Ich geh gerne in die Berge. Bei mir daheim sind wir immer gegangen. Eigentlich jedes Wochenende. Komisch, ich fand das als Kind gar nicht schlimm. Andere schon. Angeblich ist Wandern jetzt aber wieder total in bei jungen Leuten.« Sie sah Irmi leicht verunsichert an, ob sie womöglich zu privat und geschwätzig geworden war.
    Irmi lächelte sie an. »Aber nicht so rennen, ich bin nicht gerade in Hochform.«
    »Nein, nein. Seit ich arbeite, hab ich auch keine Zeit mehr.«
    Wenn so ein junges Ding das schon sagte, lief doch irgendwas völlig aus dem Ruder. Niemand hatte mehr Zeit. Zeit für Spaß. Zeit für Ruhe. Zeit für Träume. Vielleicht gab es ja irgendwelche extraterrestrischen Mächte, die die Zeit einfach schrumpften? Zumindest kam es Irmi so vor. Und wenn man sich umhörte, dann fühlten ganz viele andere Menschen auch so. In den Achtzigerjahren war mehr Zeit gewesen, obwohl sie da doch auch gearbeitet hatte. Viel sogar.

8
    Sie parkten ihren Wagen und stiegen auf. Langsam und stetig. Wortlos. Es war angenehm, mit Andrea zu gehen. Als sie das Bayernhaus erreicht hatten, fragte Andrea: »Schauen wir am Fundort vorbei?«
    »Natürlich.«
    Sie näherten sich der Stelle von unten. Langsam stapfte Irmi durch Sträucher und Bäume. Bog einen seltsamen Busch zur Seite, stieg über die Kahlschlagfläche, dorthin, wo die Leiche gelegen hatte. Sie hob den Kopf und sah zum Speichersee hinüber. Ihr Blick blieb am Holzkreuz hängen, das aus dieser Perspektive riesenhaft wirkte.
    Andrea war schon zum See gegangen. Auch Irmi stieg hinauf, bis sie unter dem Kreuz stand. Dass es einen Meditationsweg gab, hatte sie nicht gewusst. Ihr war das sowieso suspekt, dass man immer Pfade anlegen musste, um die Wege und Gedanken der Menschen zu kanalisieren. Heutzutage wurde das Leben vorgekaut und weich gekocht. Die wenigsten verfolgten eigene Wege und versuchten es mal mit Selberdenken und Selbermachen. In letzter Zeit begegnete ihr oft das Wort »Bespaßung«. Hätte sie ihre persönlichen Unworte

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