Huff, Tanya
die Werwölfe - besonders die
jüngeren Werwölfe -eine Stimmung nicht für längere Zeit halten konnten, wenn sie
durch unmittelbarere Probleme abgelenkt waren, wie zum Beispiel wer vergessen
hatte, die Butter aus dem Kühlschrank zu nehmen und wo genau das Salz war.
Die Familie aß in
menschlicher Gestalt und mehr oder weniger auf menschliche Art und Weise.
„Das macht es leichter
für die Kinder, wenn sie zur Schule müssen", erklärte Nadine, schob Daniel
seine Gabel in die Hand und bedeutete ihm, sie zu benutzen.
Das kalte
Hammelfleisch mit Salat war fettig und nicht sehr schmackhaft, aber Vicki war
so erleichtert, daß es gekocht war, daß sie es gerne aß.
„Ms. Nelson war heute
morgen Carl Biehn besuchen", sagte Peter plötzlich.
„Biehn?" Donald
warf Stuart einen Blick zu, der wieder die Ohren angelegt hatte, dann Vicki.
„Warum?"
„Es ist wichtig, mit
den Nachbarn zu sprechen", erklärte Vicki und warf einen raschen Blick auf
das dominante Männchen. „Ich muß wissen, was sie gesehen haben könnten."
„Er war seit Jahren
nicht mehr hier", sagte Nadine. „Nicht, seit Stuart ihn verjagt hat, weil
er den Mädchen Angst machte. Jennifer hatte monatelang Alpträume von seinem
Gott."
Stuart schnaubte.
„Gott. Er würde einen Gott nicht erkennen, wenn er ihn in den Arsch bisse. Der
alte Narr ist ein Grasfresser."
Vicki blinzelte. „Ein
was?"
„Ein Vegetarier",
übersetzte Rose.
„Hat er Ihnen das
erzählt?"
„Das mußte er
nicht." Stuart knackte einen Knochen und saugte das Mark heraus. „Er
riecht wie ein Grasfresser."
Donald warf eine
Brotrinde auf den Tisch und wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab. „Er
hat mich mal in der Stadt angehalten und mich auf die Sünde hingewiesen, Tieren
nur das Leben zu schenken, um sie zu töten."
„Das hat er auch mal
mit mir gemacht, aber ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß es leichter
wäre, die Tiere zu töten, als sie lebendig zu fressen." Peter warf ein
Radieschen in die Luft, fing es mit den Zähnen auf und zermalmte es mit dem
größtmöglichen Lärm.
„Wie unfein,
Peter!" Jennifer sah ihren Vetter angeekelt an, der nur grinste und weiter
sein Mittagessen hinunterschlang.
„Sie glauben doch
nicht, daß es der alte Biehn ist, oder?" flüsterte Rose, wobei sie ihre
Stimme unter den allgemeinem Geräuschpegel um den Tisch herum senkte.
Tat sie das? Da er so
nah wohnte, hatte Carl Biehn sowohl die Gelegenheit, unabsichtlich das
Geheimnis der Werwölfe zu entdecken als auch Zugang zu dem Baum, von dem die
Schüsse gekommen waren. Er war für einen Mann seines Alters in guter
Verfassung, und tiefe religiöse Überzeugungen waren ein historisch verbürgtes
Mordmotiv. Er hatte aber einen Ekel vor dem Töten zum Ausdruck gebracht, den
Vicki ihm glaub' te, und außer einem Turnschuhabdruck, den er mit Krethi und
Plethi gemeinsam hatte, verband ihn keinerlei Beweis mit den Verbrechen. Die
Tatsache, daß sie ihn mochte, so subjektiv sie auch war, mußte auch in Betracht
gezogen werden. Gute Polizisten entwickelten einen Sinn für bestimmte
Persönlichkeitstypen, die, ganz gleich, wie sorgfältig sie verborgen waren,
einen unbewußten Alarm auslösten. Biehn schien ein anständiger Mensch zu sein,
und die waren selten.
Andererseits war der
nächstwahrscheinlichste Verdächtige ein Polizist, und Vicki wollte nicht
glauben, daß Barry Wu dafür verantwortlich war. Sie warf über den Tisch hinweg
einen Blick auf Colin, der, obwohl größer als sein Onkel und sein Vater, immer
noch ein kleiner, drahtiger Mann war und es nach den alten Vorschriften über
Mindestgrößen nie zur Polizei geschafft hätte. Er sah aus wie jemand, dem ein
Messer im Herzen steckte und der langsam die Klinge umdrehte. Er hatte keine
zwei Worte gesagt, seit er sich gesetzt hatte.
Glaubte sie, daß es
Biehn war? Nein. Aber genauso wenig wollte sie glauben, daß es Colin Heerkens
Partner war. Andererseits konnte sie keinen von beiden völlig ausschließen,
nicht bis der Mörder gefunden war. Viele Leute hatten Zugang zu den Wäldern,
und trotz der Statistik erwiesen sich die wahrscheinlichsten Verdächtigen
nicht immer als schuldig.
Sie wandte sich wieder
Rose zu, die mit der Geduld des Raubtiers auf eine Antwort wartete.
„Bis ich mehr
Informationen habe, muß ich jeden verdächtigen, Rose, selbst Kleinbein. Es ist
zu wichtig, um es nicht zu tun."
Nachdem sie den Tisch
von allem, was Nahrung ähnelte, gesäubert hatten, erhoben sich die Werwölfe,
und
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