Huff, Tanya
verschafft, und das offenbar ohne große Schwierigkeiten. Wollte
Dr. Mui außer Landes, ohne ihr Vermögen dabei aufs Spiel zu setzen und ohne
eine Spur zu hinterlassen,
dann gab es für sie noch ein paar Dinge zu tun, die sich
nur persönlich und eigenhändig besorgen ließen.
Das alles hätte eigentlich nicht mehr als ein paar Stunden
in Anspruch nehmen dürfen. Aber sobald sie ihr Auto vom Parkplatz gelenkt
hatte, war im Rückspiegel der gelbe Ü-Wagen aufgetaucht. Patricia Chou verfolgte
sie sozusagen mit ausgeschaltetem Mikrophon, ohne dabei irgendwelche Gesetze
zu brechen, ohne ihr irgendwie zu nahe zu treten, ohne sie aus den Augen zu
lassen.
So hatte Dr. Mui von den drei unbedingt notwendigen Gängen
nur zwei erledigen können. Beim dritten ging es nicht an, daß sie Zeugen mitschleppte;
so war sie nach Hause zurückgekehrt, selbstverständlich mit Patricia Chou im
Schlepptau ...
Ihr Sender wird ihr schon nicht erlauben, hier ohne Ende
herumzuhängen, und wenn sie abgerufen wird, kann ich loslegen. Es ist ja schon
fast alles vorbereitet; kein Grund zur Panik. Wenn ich die Nerven behalte,
besteht nicht die geringste Gefahr, daß ich auffliege. Dr. Mui ballte die Hände
zu Fäusten, und ihre Nägel schabten am Fensterglas entlang. Mit bloßem Auge
konnte sie gerade so eben ein schlankes, leinenbekleidetes Bein erkennen, das
aus dem Inneren des Ü-Wagens ragte. Ach, wenn jetzt ein LKW vorbeikäme und ihr
das Bein abführe ...
Den ganzen Nachmittag über hatte die Ärztin mit ansehen
müssen, wie Patricia ihre Bekanntheit in der Stadt nutzte und jeden
interviewte, der das Haus betrat und verließ.
Es war ein sehr langer Nachmittag geworden.
„Patricia, bitte!" flehte Brent verzweifelt und rieb
sich mit den Knöcheln die blutunterlaufenen Augen. „Laß uns abhauen. Mehr
kriegen wir hier heute nicht, und ich bin völlig fertig."
„Nur noch ein ganz kleines bißchen länger!"
Der Kameramann seufzte und ließ sich erschöpft gegen einen
Sack mit Kabeln sinken. „Das sagst du seit einer Stunde."
„Diesmal meine ich es auch so." Chou schob den Kopf
so weit aus der Tür, daß sie sehen konnte, wie sich die Unterseiten der Wolken
am Himmel rot und gelb färbten. „Laß uns bis Sonnenuntergang warten."
„Warum.7 Was soll bei Sonnenuntergang passieren?"
In Patricias Augen blitzte sekundenlang ein Silberschein
auf. „Ich habe keine Ahnung..." „Aber warum..." „... aber man hat
mir eine prima Geschichte versprochen!"
19:43 Uhr. Mike sah von seiner Uhr auf und aus dem
Fenster, wobei er die Augen leicht zusammenkneifen mußte. Die untergehende
Sonne hatte das gegenüberliegende Gebäude in glänzendes Weißgold getaucht. Was
auch passieren mochte - innerhalb der nächsten fünf Minuten würde es nicht
geschehen. Dem Detective blieb immer noch Zeit, es zu unterbinden.
Sein rechter Daumen massierte den schartigen Einstich in
seiner linken Armbeuge.
Vier Minuten.
Immer noch Zeit genug.
Drei Minuten.
Es ging nicht einmal so sehr darum, daß sie auf jeden Fall
für den Tod der beiden jungen Männer verantwortlich war, die Henry heimsuchten,
und wahrscheinlich noch für einige weitere Tode. Es ging auch nicht um das, was
sie ihm persönlich angetan hatte.
Dr. Mui hatte die Hoffnung von Menschen ausgebeutet, denen
im Leben außer Hoffnung nichts mehr verblieben war.
Zwei Minuten.
Mord konnte per Gesetz gesühnt werden; aber wenn selbst
Henrys Geister nicht das Recht hatten, den Tod der Hoffnung zu sühnen, wer
hatte es denn dann?
Um 19:47 Uhr erkannte Mike den Schnitzer in ihrem Plan. Da
war es aber schon zu spät.
Henry hatte den Tag in einen Verdunkelungsvorhang aus dem
Theater gehüllt auf dem Fußboden eines Einbauschranks verbracht. Die Pettits waren
für alles, was er ihnen vorgeschlagen hatte, ungeheuer offen gewesen, und doch
war es ihm schwergefallen, die beiden dann zum Gehen zu bewegen.
Nachdem sie ihm nun begegnet waren, wollten sie auch bei
ihm bleiben. Es war ihm letztlich gerade genug Zeit verblieben, seinen
Unterschlupf aufzusuchen und den Türgriff des Schranks in einen unbrauchbaren
Metallklumpen zu verwandeln, da hatte auch schon der Sonnenaufgang Anspruch auf
ihn erhoben.
19:48 Uhr. Sonnenuntergang.
Sie waren da. Henry spürte ihre Gegenwart stärker als je
zuvor. Die ihn umgebende Luft war insgesamt eiskalt, und als er den ersten
Atemzug tat, schien sich diese Eiseskälte nur ungern in seine Lungen zu begeben
und überzog die Innenseite seines Mundes und Halses mit einer
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