Huff, Tanya
nachdem er sich die Sache ein paar Minuten angesehen hatte. „Patricia Chou.
Die ist knallhart. Eine meiner Lehrerinnen an der Abendschule sagt, die Frau
mache Kamikazereportagen. Weil sie nach der ganz großen Story sucht, mit der
sie dann bei einer der überregionalen Fernsehgesellschaften landen kann. Im
Stadtrat hat die Hälfte der Mitglieder Schiß vor ihr, und ich habe gehört, sie
würde eher ins Gefängnis gehen, als Informationsquellen preiszugeben. Wer der
alte Mann ist, weiß ich nicht."
„Der alte Mann", schnaubte Celluci erbost, „ist
ungefähr zehn Jahre älter als ich!"
Tony zog sich weise zurück.
Auf dem Bildschirm runzelte Patricia Chou die Stirn und
sagte: „Sie wollen also damit sagen, Mr. Swanson, die Ängste, die viele
Menschen haben, wenn es um Organspenden geht, seien völlig unbegründet?"
.Ängste", verkündete ihr Gast, „basieren oft auf
einem Mangel an Wissen."
Eine gute Antwort. Celluci warf die Fernbedienung auf die
Glasplatte des Beistelltischchens - Fitzroy hatte eindeutig eine Vorliebe für
zerbrechliche Möbel - und lehnte sich zurück, um in Ruhe zuzuschauen.
Auf dem Bildschirm lehnte Swanson sich auf ähnliche Art
und Weise zurück und blickte mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der schon
oft Interviews überstanden hat, in die Kamera. „Wir wollen uns diese Ängste
einmal der Reihe nach ansehen. Erst einmal haben Menschen, die über Geld oder
Beziehungen verfügen, keine besseren Chancen auf ein neues Organ. Der Computer
findet für jedes zur Verfügung stehende Organ den bestgeeigneten Empfänger. Da
geht es um die Blutgruppe, Größe, die Krankheit des Patienten und darum, wie
lange dieser bereits auf der Warteliste gestanden hat."
Patricia Chou lehnte sich vor und streckte einen schlanken
Zeigefinger aus, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Aber was sagen Sie
in diesem Zusammenhang zu den Berichten, denen zufolge einige Prominente
Organspenden erhalten haben?"
„Ms. Chou: Wenn Sie sich die Sache genau ansehen, werden
Sie feststellen, daß in diesem Fall das Problem bei der Berichterstattung
liegt. Über diese Prominenten wird berichtet, weil sie berühmt sind und nicht,
weil bei ihnen eine Organtransplantation vorgenommen worden ist.
Hunderte von Menschen bekommen neue Organe und kommen nie
in die Medien, und ich versichere Ihnen, meine Frau würde heute noch leben,
wenn ich in der Lage gewesen wäre, ihr ein Organ zu kaufen."
„Ihre Frau starb an chronischem Nierenversagen?"
„Ja." Mr. Swanson mußte sich räuspern, ehe er
fortfahren konnte, und Celluci, der im Laufe der Jahre Trauer in jeder nur
denkbaren Form gesehen hatte, hätte schwören können, daß dieses Räuspern nicht
gespielt war. „Drei Jahre hat sie an der Dialyse gehangen. Drei Jahre hat sie
auf eine passende Niere gewartet. Drei Jahre lang starb sie, und meine Frau ist
nicht die einzige: Annähernd ein Drittel der Patienten, die auf eine
Transplantation warten, stirbt, und deswegen unterstütze ich aktiv die British
Columbia Transplant Society."
„Aber die Kosten einer Transplantation sind doch sicher in
diesen Zeiten der allgemeinen Kürzungen..."
„Kosten?" Swanson starrte Ms. Chou direkt an. „Wissen
Sie eigentlich, Ms. Chou, daß die Kosten im Gesundheitswesen im letzten Jahr um
mehr als eine Milliarde Dollar niedriger gelegen hätten, wenn man allen Patienten,
die am Ende des Jahres immer noch auf eine Transplantation warteten, eine neue
Niere hätte einpflanzen können?"
Das hatte Ms. Chou nicht gewußt, und sie war auch, wie man
an einer leichten Anspannung ihrer Augen feststellen konnte, nicht erbaut, daß
Swanson sie unterbrochen hatte. „Um auf die Ängste zurückzukommen, Mr. Swanson,
die in der Öffentlichkeit herrschen: Was ist mit Organdiebstahl?" Sie
betonte das letzte Wort so stark, daß es noch einen Moment oder zwei in der
Luft zu hängen schien.
„Organdiebstahl ist unmöglich, zumindest was die Länder
der Ersten Welt betrifft. Dazu bräuchte man Ärzte, die bereit wären, außerhalb
der Legalität zu arbeiten, teure Kliniken und Laboratorien, man müßte ein
eigenes Computersystem einrichten und es wasserdicht sichern - ich sage nicht,
so etwas sei nicht möglich. Ich sage lediglich, die Kosten wären so immens, daß
sich die Sache nicht lohnen würde."
Gute Antwort, mußte Celluci zugeben. Wenn auch nicht
spontan. Swanson hatte eine Frage aus dieser Richtung wohl erwartet.
„Aus rein marktwirtschaftlicher Sicht ließe sich mit
Organdiebstahl kein
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