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Huff, Tanya

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Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 05 - Blutschuld
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nicht sagen können, ob der Tote sie sich erst im Wasser oder
davor schon zugezogen hatte -, zeigte aber immer noch klare Umrisse, an denen
Henry seinen Geist wiedererkennen konnte. Letzte Zweifel beseitigte der
bluttriefende Dolch, der, leicht verschwommen und wohl in Eigenarbeit
gestochen, als Tätowierung den linken Oberarm des Mannes zierte.
    Alle Unterlagen der Leichenhalle waren per Computer
erfaßt, aber in einem großen Aktenschrank, der eine ganze Wand des Büros
einnahm, wurde von den aktuelleren Autopsieberichten zusätzlich ein Computerausdruck
aufbewahrt. Henry brauchte nicht lange, um anhand der Nummer an der Lade die
entsprechende Akte im Schrank ausfindig zu machen und hatte bereits die erste
Seite in den Fotokopierer geschoben und den Einschaltknopf des Gerätes
betätigt, als er vom Flur her Schlüssel rasseln hörte.
    Kevin Lam eilte den Flur entlang und warf seinen
Schlüsselbund von einer Hand in die andere. Er wollte nur noch nach Hause,
irgend etwas essen, was nicht nach Desinfektionsmitteln schmeckte und sich
hoffentlich im Fernsehen die Übertragung irgendeines Sportereignisses ansehen
können: Die Schicht, die hinter ihm lag, war mörderisch gewesen. Baseball wäre
jetzt genau das richtige. Nicht, daß er Baseball wirklich gemocht hätte, sein
Kopf jedoch war nach zehn Stunden Schufterei so leer, daß er außer Baseball
nichts mehr verstehen würde.
    Wenn ich erst mal im Auto sitze, dann bin ich sicher. Dann
können sie mich nicht mehr zurückholen. Dann kann ich heim. Da Kevin die Augen
unverwandt auf die Tür zum Parkdeck gerichtet hielt, hätte er den kleinen
Lichtstreifen unter der Bürotür des Leichenschauhauses fast übersehen.
    Unter der Bürotür des Leichenschauhauses, in dem um diese
Zeit eigentlich niemand mehr etwas zu suchen hatte.
    Das Milchglas im oberen Teil der Tür war dunkel. Es sah
nicht so aus, als sei noch jemand bei der Arbeit.
    „Wer zum Teufel läßt denn dann den Kopierer laufen?"
Kevin warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Tür zum Parkdeck und seufzte.
Wenn er jetzt den Wachdienst rief, würde er unter Umständen stundenlang hier
festsitzen, auch wenn sich herausstellte, daß eigentlich nichts los war, und
sollte sich herausstellen, daß nichts los war, dann würde er nichts als Spott
ernten und Zielscheibe für jeden Witz sein, den man im Krankenhaus über die
Leichenhalle riß. „Also mache ich einfach die Tür auf, stelle selbst fest, daß
nichts los ist, und dann gehe ich nach Hause."

Aber wenn nun doch etwas los ist? fragte er sich dann, als
er den Schlüsselbund schon in die Hosentasche geschoben hatte und sich
anschickte, die Tür zu öffnen. Aber dann mußte er über sich selbst den Kopf
schütteln. Als würde ernsthaft jemand um Mitternacht in der stockfinsteren Leichenhalle
herumstehen und kopieren!
    Henry hätte reichlich Zeit gehabt, sich zu verstecken. Er
hatte nur keine Lust dazu.
    In dem Augenblick, in dem der Pfleger als Silhouette in
der offenen Tür auftauchte, eine Hand nach dem Lichtschalter ausgestreckt,
packte Henry ihn an der Knopfleiste seines Kittels, zog ihn ins Zimmer und
schloß die Tür.
    Gellend dröhnte der Hunger in Henrys Ohren. Vickis
Gegenwart hatte die Fesseln gelockert, in die Henry ihn geschlagen hatte, die
drückende Verzweiflung und der Blutgeruch im oberen Teil des Krankenhauses
hatten noch zusätzlich daran gezerrt. Nur der Selbsterhaltungstrieb verhinderte
das Schlimmste. Henry schleuderte den ungebetenen Gast auf einen der
Schreibtische.
    Im Zimmer war es nicht vollständig dunkel: An
verschiedenen Geräten glommen die Standby-Lämpchen, und über der Tür leuchtete
matt ein Licht, das den Ausgang markierte. Kevin sah ein blasses Oval über
sich, ein Gesicht. Er fühlte sich in den unergründlichen Tiefen dunkler Augen
versinken und unterdrückte einen Schrei, als eine kalte Stimme ihm Schweigen
befahl.
    Starke Finger - eiskalt und doch glühend - griffen nach
seinem Handgelenk; Gefühle rasten seinen Arm hinauf, im Gleichklang mit seinem
Puls, und dann fing sein Herz an, noch fieberhafter zu rasen. Sein Atem wurde
schneller. Das mochte Furcht sein - oder etwas sehr viel Finstereres.
    Er verstand nichts, als das blasse Gesicht verschwand und
dieselbe kalte Stimme murmelte: „Und ihr habe ich kindisches Verhalten
vorgeworfen." Als das Gesicht erneut auftauchte und die Stimme ihn
anwies, alles zu vergessen, gehorchte er nur allzugern.
    Kurz nach Henry war auch Tony gegangen, und gegen zwei Uhr
hatte Vicki Celluci zu

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