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Huff, Tanya

Huff, Tanya

Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 05 - Blutschuld
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hatte. „Dann hör auf,
die Nervensäge zu spielen."

Fünf
    Das städtische Leichenschauhaus befand sich im Keller des
Vancouver General Hospital. Henry nahm an, aus dem gleichen Grund, aus dem
Krypten immer weit unterhalb von Kathedralen erbaut worden waren: je tiefer im
Boden, desto kühler die Raumtemperatur und desto geringer die Gefahr, daß die
Verwesungsprozesse auf andere Teile des Gebäudes übergriffen.
    Henry war nie gern in Krankenhäuser gegangen. Nicht nur
des grellen Lichtes wegen, das für seine an Dunkelheit gewöhnten Augen sehr
schmerzhaft war. Auch nicht wegen des allgegenwärtigen, unangenehmen, mit dem
Geruch von Krankheit vermischten Geruchs nach Desinfektionsmitteln.
    Es war die Verzweiflung, die für Henry jeden Besuch in
einem Krankenhaus so unangenehm werden ließ.
    Wie dichter Rauch hing sie in den Gängen; sie ging von den
Patienten aus, die wußten, daß sie sterben würden und von denen, die
fürchteten, sterben zu müssen. Da spielte es kaum eine Rolle, daß sich die
moderne Medizin mehr Erfolge als Mißerfolge auf die Fahnen schreiben konnte.
    Ein Raubtier lauert den Schwachen auf. Den Wehrlosen. Den
Verzweifelten.
    Henry hatte bereits getrunken, aber als er über die
Türschwelle in das Gebäude trat, machte sich sofort der Hunger lautstark
bemerkbar und rüttelte an den Gitterstäben von Henrys Selbstbeherrschung. Dem
Hunger ging es nicht ums Nähren — er war aufs Töten aus. Töten, weil er töten
konnte, weil ihn so gut wie alle hier darum anzuflehen schienen. Als sich die
Tür hinter Henry schloß, spürte er, wie sich jegliche Zivilisiertheit
davonstahl und den nackten Hunger bloßlegte, der direkt darunter geschlummert
hatte.
    Henrys Plan war, sich durch den Eingang zur Notaufnahme
Zugang zum Krankenhaus zu verschaffen. Hier durfte er hoffen, in dem allgemeinen
Chaos, das in der Notaufnahme eines jeden größeren städtischen Krankenhauses zu
herrschen schien, unbemerkt vorgehen zu können. Was das Chaos betraf, so hatte
er mit seinen Überlegungen richtiggelegen, aber dafür hing über dem
vollbesetzten Wartezimmer derart dichter Blutgeruch, daß Henry kurz davor war,
die Kontrolle über den Hunger zu verlieren. Zu deutlich war er sich all der
Schwachen und Verletzten um sich herum bewußt, deren Leben angstvoll in einer
nach Verzweiflung

stinkenden Atmosphäre vor sich hinpochte. Henry trat von
der Tür weg weiter in das Gebäude hinein.
    Niemand versuchte, ihn aufzuhalten.
    Jeder, der ihn sah, schaute schnell wieder weg.
    So rasch er konnte durchquerte Henry den dichtbesetzten
Warteraum der Notaufnahme und glitt durch die erste Tür zu einem Treppenhaus,
die er fand. Die Luft hier war reiner, aber Henry hatte wenig Zeit, sich zu
sammeln.
    Der Volksmund sah das zwar anders, hatte aber in diesem
Fall unrecht: Vampire tauchen durchaus in Spiegeln und auch auf den
Bildschirmen von Überwachungskameras auf.
    Manchmal, dachte Henry, als er die Treppenstufen in
Höchstgeschwindigkeit hinabglitt - ein dunkles Flackern auf einem weit
entfernten Monitor - manchmal hasse ich dieses Jahrhundert!
    Zwei Treppen tiefer fand er eine Tür mit der Aufschrift
STÄDTISCHES LEICHENSCHAUHAUS/ZWEITES PARKDECK und trat erleichtert in einen
schwach beleuchteten Flur. Von drei Neonröhren an der Decke brannte je nur
eine. Henry nahm an, das hatte er den Budgetkürzungen zu verdanken - hier
unten liefen ja auch keine Patienten und um diese Tageszeit nur wenige
Angestellte herum. Trotzdem wußte er das Schummerlicht zu schätzen. Seiner
Meinung nach gehörte eine Barriere aus Schatten ganz einfach in jeden Korridor,
der in einer Leichenhalle mündete.
    Nach wie vor mit gefletschten Zähnen, aber wesentlich
souveräner, als er es seit dem Verlassen seines Autos gewesen war, folgte Henry
der Spur vieler Tode bis zu einer unverschlossenen Tür. Er streifte sich im
Gehen ein Paar Lederhandschuhe über, die er gewöhnlich beim Autofahren trug,
durchquerte geräuschlos einen Vorraum, in dem ein Büro untergebracht war und
trat dann in die Leichenhalle.
    Hier fiel ihm das Atmen noch leichter. In diesen Räumen
beherbergte das vergossene Blut kein Leben mehr, und die Toten hatten alle
Schrecken hinter sich.
    Nur sechs der großen Kühleinheiten waren in Gebrauch. Fünf
davon trugen die Namen der Person, die sie beherbergten. In der sechsten
Schublade ruhte die Leiche des Mannes ohne Hände, die man aus dem Hafen gezogen
hatte.
    Das Gesicht der Leiche wies schwere Schlagverletzungen auf
- Henry hätte

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