Huff, Tanya
bisher aber auch
noch nichts unternommen, es zu verhindern. Wo, fragte er sich, ziehe ich die
nächste Grenze?
Er seufzte tief, blinzelte zu Vicki auf und wünschte, sie
würde näher ans Licht heranrücken, damit er ihr Gesicht hätte sehen und dessen
Ausdruck lesen können, statt nur ein blasses Oval vor sich zu haben. „Ich
nehme an, ich soll tagsüber ein paar Aufträge für dich erledigen."
Vicki nickte und zog träge mit einem Finger Kreise in
seinem Brusthaar. „Ich will, daß du diese Interviewerin fragst, warum sie denkt,
es sei Organdiebstahl. Worauf stützt sie ihre Theorie? Vielleicht weiß sie
etwas oder hat etwas gehört..."
„Oder vielleicht erfindet sie das alles nur so en
passant."
„Vielleicht. Du kannst ja auch recht haben ..." Sie
schlug ihn sachte, als er im gespielten Entsetzen zurückschreckte. „... die
fehlende Niere
könnte Zufall sein. Aber ich hätte trotzdem gern gewußt,
warum sie die Sache aufgebracht hat."
„Was, wenn ihre Gründe eher etwas mit Einschaltquoten als
Fakten zu tun haben?"
„Dann können wir immer noch an' den Verbindungen zur
Unterwelt arbeiten."
Das Glitzern in Vickis Augen entlockte Celluci einen
weiteren tiefen Seufzer. „Du freust dich darauf, in der Kacke zu rühren,
stimmt's?"
„Mach dich nicht lächerlich."
„Du lügst immer noch verdammt schlecht, Vicki." Mike
streckte die Hand aus und ergriff Vickis Rechte. „Denk' daran: Du bist
unsterblich, aber nicht unverletzlich."
Vicki beugte sich vor und preßte ihren Mund auf seinen.
Ein paar erhitzte Augenblicke später löste sie sich wieder. „Ich werde
vorsichtig sein, wenn du zugibst, daß an meiner Theorie etwas dran sein
könnte."
„Du kennst mich doch: Ich bleibe immer nach allen Seiten
offen."
Sie fuhr ihm mit der Zunge über die Lippen. „Wenn du kein
so guter Lügner wärst, würde ich dir das sogar glauben."
Punkt 5:00 Uhr klingelte der Wecker. Ronald Swanson
streckte die Hand aus, um ihn abzuschalten. Dann fiel ihm ein, daß das Geräusch
ja außer ihn selbst niemanden mehr störte. Er ließ sich wieder in die Kissen
sinken, strich nicht vorhandene Falten aus dem Laken auf der anderen Bettseite
und dachte an den Telefonanruf, den er gleich tätigen wollte.
Seit Monaten fanden die grundlegenden Vorbereitungen
statt, und in der letzten Nacht hatte er gemeinsam mit einem vertrauenswürdigen
Angestellten im Osten die letzten Details ausgearbeitet. Heute sollte der
Handel abgeschlossen werden.
Aus Sicherheitsgründen wäre es wahrscheinlich besser
gewesen, sich davon ebenso fernzuhalten wie von den Spendern, aber das brachte
Swanson nicht übers Herz. Seine persönliche Hingabe an alle Details, sein
Finger am Puls der Firma hatten ihm unanständig viel Geld eingebracht, weswegen
es ihm schwerfiel, gewohnte, bewährte Methoden aufzugeben.
„Was nicht kaputt ist, sollte man nicht reparieren",
murmelte er, schlug seine Bettdecke - eine Decke für nur eine Person - zur
Seite und stieg
aus dem Bett. Seine Füße hinterließen bei jedem einzelnen
Schritt einen tiefen Abdruck im dichten Teppichboden. Er ging ins Badezimmer,
das zum Schlafzimmer gehörte und schloß aus alter Gewohnheit die Tür hinter
sich, ehe er dort die Beleuchtung einschaltete. Im finsteren, verlassenen
Schlafzimmer zeigte der Wecker 5:03 Uhr.
„Tony? Mike. Ich habe dich doch nicht geweckt, oder?"
Tony sah verschlafen auf die Uhr, die im Bücherregal stand
und richtete sich mühsam so weit auf, daß er sich gegen das Kopfende des
Sofabettes lehnen konnte. „Doch. Es ist erst acht. Was ist?"
„Erst acht!" Die Wiederholung erfolgte mit dem
unausgesprochenen Zusatz diese jungen Leute. „Arbeitest du heute nicht?"
„Doch, aber erst um zehn." Er gähnte und kratzte das
fast millimeterkurze Haar auf seinem Schädel. „Ich habe noch haufenweise
Zeit."
„Toll. Ich muß wissen, auf welchem Kanal ich gestern diese
Talkshow gesehen habe."
„Die Talkshow?" Tony starrte auf das Wohnzimmerfenster
mit seinen vielen kleinen Fensterstreben, das fast hinter ein paar großen Hänge
-pflanzen versteckt lag und verlor sich in dem Versuch festzustellen, ob die
Wellen im Fensterglas real waren oder ob er einfach noch nicht richtig sehen
konnte.
„Sie lief gestern, ehe Henry nach Hause kam. Patricia Chou
interviewte einen Geschäftsmann namens Swanson. Es ging um Nieren."
„Ach ja." Tony wurde langsam wach und entschied, die
Wellen seien in der Tat Teil der Fensterscheibe. „Ja und?"
Langsam, geduldig und sehr deutlich
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