Huff, Tanya
Celluci jedoch gegen Beleidigungen abgehärtet - es sei
denn, sie wurden von Gewaltakten begleitet.
Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und sah sich um.
Bücherregale fungierten nicht nur als Raumteiler, sondern
bedeckten auch zwei der drei Seitenwände des Raums und reichten an der dritten
bis zur Höhe der Fenster. Sie schienen zu gleichen Teilen mit Büchern, Videos
und Ordnern bestückt, aber es waren dort auch einige gerahmte Fotos
ausgestellt:
Patricia Chou, die etwas vom Bürgermeister von Vancouver
entgegennahm. Patricia Chou im Händedruck vereint mit dem amtierenden Ministerpräsidenten
von British Columbia. Patricia Chou zusammen mit einem bedeutungsvoll
lächelnden Mann, in dem Celluci den Vertreter der „Recht auf
Leben"-Bewegung erkannte, der eine siebenundfünfzig Jahre alte
Geburtshelferin mit einer Kugel aus seinem 7,62 Millimeter-Präzisionsgewehr
bedacht hatte, weil es ihm nicht gefiel, daß die Ärztin in städtischen
Kliniken legale Abtreibungen vornahm. Selbst auf diesem Foto lächelte Ms. Chou,
allerdings war der Ausdruck, mit dem sie sich den in Handschellen befindlichen
Heckenschützen ansah, der einer Frau, die gerade unter ihrem Absatz etwas
höchst Unappetitliches zerquetscht hatte und darüber sehr zufrieden war.
Detective Sergeant Celluci war der ganz persönlichen
Ansicht, die Welt wäre um einiges besser und seine Arbeit um einiges leichter,
wenn die Aufmerksamkeit, die die Medien normalerweise Kriminellen zukommen
ließen, statt dessen den Opfern geschenkt würde, also die Medien Kriminelle
einfach nicht beachteten. Deren Namen und Bilder sollten Mikes Meinung nach nur
auf Fahndungsblättern und in Gerichtsakten auftauchen. Er fand es falsch, wenn
ihnen bei Talkshows Redezeit eingeräumt wurde, ganz gleich, wie regional der
Sender auch sein mochte.
„Sie sind Mike Celluci." Als Celluci sich zu ihr
umwandte, warf Ms. Chou einen Vorhang aus mitternachtsschwarzem Haar über die
Schulter zurück und fuhr fort, ehe der Detective etwas sagen konnte: „Sie
wollten mit mir über die Sendung gestern abend reden." Ihr Ton legte nahe,
gleich zur Sache zu kommen und ihre Zeit nicht zu vergeuden.
Celluci warf einen prüfenden Blick auf das Gesicht der
Frau und entdeckte etwas, das die Kameras ihm verborgen hatten: Sie war sehr
jung, hatte wohl erst vor kurzem ihr Studium abgeschlossen. Sie war noch nicht
lange im Geschäft; die Welt hatte noch keine Zeit gehabt, all die harten Ecken
und Kanten von Ehrgeiz, Intelligenz und Ego abzuschleifen.
Sie glich sehr der Vicki, die Celluci vor Jahren
kennengelernt hatte.
Da kenne ich mich aus, das habe ich bereits erlebt, die
Narben kann ich vorweisen. „Wie ich am Telefon schon sagte, Ms. Chou: Ich habe
eine Freundin, die gern wissen möchte, warum Sie der Meinung sind, die Leiche,
die man im Hafen von Vancouver gefunden hat, könne Opfer eines Organdiebstahls
gewesen sein."
„Wie ich ebenfalls bereits am Telefon sagte: Ich wüßte
gern, warum Ihre Freundin das wissen will."
„Meine Freundin denkt in der Sache ähnlich wie Sie."
„Da ist Ihre Freundin die einzige in der ganzen großen
Stadt, der es so geht. Sie denken da anders?"
Mike zuckte die Achseln, bedacht darauf, möglichst neutral
zu wirken. „Ich möchte gern offen bleiben."
„Offen?" Die Wiederholung hätte um ein Haar spöttisch
klingen können. „Warum redet Ihre Freundin nicht selbst mit mir? Warum schickt
sie Sie?"
„Sie ist beschäftigt."
„Beschäftigt", wiederholte die junge Frau und kniff
die Augen zusammen. Sie lehnte sich im Stuhl zurück, starrte Mike eine ganze
Weile
stumm an und zog dann eine Augenbraue hoch. „Von der
hiesigen Polizei sind Sie nicht, oder?"
Er erwiderte ihren Blick, zog dieselbe Braue hoch und
bedauerte, ihr seinen Namen genannt zu haben. „Wie kommen Sie darauf, daß ich
überhaupt bei der Polizei bin?"
„Zum einen wandert Ihr Blick die ganze Zeit im Raum umher.
Zweitens sind Ihre Hosenbeine trotz der gängigen Mode so weit, daß Sie am
Knöchel ein Pistolenhalfter befestigen können. Drittens signalisiert die Art,
wie Sie am Telefon reden, ganz eindeutig Polizei - wenn man Sie persönlich vor
sich hat, fällt es nicht ganz so auf. Viertens sind Sie nicht von der hiesigen
Polizei, denn sonst hätten Sie sich gleich ausgewiesen." Ms. Chou starrte
Mike weiterhin unverwandt an wie ein Hai auf Beutezug. „Sie sind bei der
Bundespolizei, nicht? Die Sache ist größer, als ich dachte. Vielleicht sogar
international."
Der Ehrgeiz
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