Huff, Tanya
sich konnte Vicki Bewegung spüren, und dahinter hörte
sie das ruhige Summen von Stimmen. Offenbar schickte jemand sich an, die
Stimmen zu umzingeln. Der aufsteigende Hunger erschwerte Vicki das Denken und
Planen; sie wußte, daß sie eigentlich verschwinden sollte. Die Jagd, die hier stattfand,
ging sie nichts an.
Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, versuchte,
die Ablenkung auszublenden, die das vergossene Blut des Ermordeten darstellte
und blickte aufmerksam zu den stählernen Dachsparren hinauf. Dann lächelte
sie, griff nach der Querstange der nächststehenden Regaleinheit und zog sich
hoch: Die Paßstrasse schien niemand gegangen zu sein.
„Nein! Unter dem Strich ist es so: Wenn Waffen aus dieser
Stadt weggeschafft werden, mache ich das. Ich. Nicht du und ich." Mit
gerunzelter Stirn beugte sich der ältere der beiden Männer, die einander an
einem Tisch gegenübersaßen, vor. „Wie alt bist du jetzt, David - sechsundzwanzig?
Siebenundzwanzig? Du hast es weit gebracht, David, und hältst dich selbst für
einen der Größten, aber du bist noch nicht groß genug, um es mit mir
aufzunehmen und das weißt du auch."
Das Nicken, mit dem der andere Mann die Worte seines
Gegenüber zur Kenntnis nahm, signalisierte nicht, daß er sie auch billigte.
„Offener Krieg schadet dem Geschäft, Mr. Dyshino."
„Da hast du verdammt noch mal Recht, und deswegen bleiben
wir beide hier hocken, wenn es sein muß, bis morgen früh, bis wir uns verdammt
noch mal geeinigt haben." Der Tisch, an dem die beiden saßen, stand auf
einer Freifläche, auf der gewöhnlich Gabelstapler geparkt wurden. Man hatte in
diesem Teil der Halle einige der vorhandenen Scheinwerfer eingeschaltet, aber
sie vermochten nicht wirklich bis zum ölgetränkten Fußboden durchzudringen. So
verschmolzen die Schatten der sechs Männer, die um den Tisch herumstanden, mit
anderen Schatten, die sie umgaben.
„So etwas brauchst du dir doch nicht anzuhören!" warf
einer dieser sechs, derjenige, der hinter David Engs linker Schulter stand,
wutentbrannt ein.
„Wir wollen doch hören, welchen Kompromiß Mr. Dyshino
vorzuschlagen hat."
Adan Dyshino verdrehte die Augen. „Einen ,Kompromiß' wird
es nicht geben, du Vollidiot! Du hältst dich einfach raus!"
Eine manikürte Hand hob sich und schnitt den
wutschnaubenden Protest des Stellvertreters hinter dem Stuhl ab. „Ich gebe gern
zu, daß der Waffenhandel nur ein kleiner Teil meiner Unternehmungen ist, aber
ich möchte nun einmal nicht auf ihn verzichten. Also sind wir offenbar wieder
einmal in einer Sackgasse."
Von ihrem Sitz in den Dachsparren aus sah Vicki, wie Engs
Männer sich, verborgen in den Schatten, um den freien Raum mit dem Tisch
scharten und Stellung bezogen. Wild und hämisch grinsend genoß sie den Anblick;
Vicki war es nur zu recht, daß sich der Abschaum hier offenbar gegenseitig
umbringen wollte.
Ein Geräusch, mit dem sie nicht gerechnet hatte - Metall
schlug auf Metall - lenkte Vickis Aufmerksamkeit auf den obersten Boden des Regals,
das ihr am nächsten stand. Dort lag, halb hinter einer Kiste mit
Vinyl-Parkettimitat verborgen, ein Schütze, Gewehr im Anschlag. Er hielt den
Blick unverwandt auf die Linie gerichtet, an der das Licht der Scheinwerfer
endete und die Finsternis begann. Aufmerksam durchforschte Vicki die Schatten
im Raum und fand drei weitere Heckenschützen.
Na, das kann ja spannend werden!
David Eng war zahlenmäßig im Vorteil, aber Dyshinos Männer
hielten die erhöhten Stellungen.
Henry witterte Vickis Duft, blieb stehen und fragte sich,
was zum Teufel in der Lagerhalle los sein mochte. Dann stieß er leise knurrend
die Eingangstür auf. Im Lagerhaus roch es nach Schweiß, Furcht und Erwartung.
,Wir sind nirgends, du kleiner Scheißimmigrant, du!"
Dyshino sprang auf. „Wir sind hier nicht in Hongkong! Wir sind in Kanada, und
ich sage dir ..."
Eine Salve aus einem 9-Millimeter-Maschinengewehr
erwischte den Mann an der rechten Schulter. Er drehte sich einmal um die eigene
Achse, und der Rest des Kugelhagels tötete den Mann, der hinter ihm gestanden
hatte. Er stürzte zu Boden und rollte zur Seite, bis er unter dem Tisch zu
liegen kam. Um ihn brach die Hölle los.
Henry hatte neben dem Mann gehockt, der in den Rücken
geschossen worden war; beim plötzlichen Lärm der ersten Gewehrsalve zuckte er
überrascht zusammen. Dann antworteten weitere Salven, und sofort war der Vampir
auf den Beinen und rannte in die Richtung, aus der der Lärm kam. Vicki...
Vicki
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