Huff, Tanya
reagieren, indem sie Sex haben und zweitens ...", der
zweite Finger ging hoch, „... hat uns ganz offensichtlich der Blutgeruch
überwältigt, also können wir vielleicht klarkommen, wenn wir uns
Wäscheklammern auf die Nase setzen und drittens ...", und hierbei
glitzerte es schon wieder silbern in Vickis Augen, „...drittens war es so
wunderbar, endlich mal loslassen zu können!"
„Es hat dir Spaß gemacht?" Als sie grinste, hob Henry
die Hand. „Nein. Ich meine das Loslassen."
„Ja, es hat mir Spaß gemacht. Wem schadet es denn? Das
waren Verbrecher. Abgesehen von dem, was sie vorher schon auf dem Kerbholz hatten,
wollten sie sich heute gegenseitig umbringen."
„Was, wenn keine Verbrecher bei der Hand sind, wenn du das
nächste Mal dieses Gefühl auskosten möchtest?"
„Ich würde doch nie ..."
„Bis du dir da ganz sicher?"
Das Silber verblaßte. „Ich hätte mich beherrschen können,
wenn du nicht angeschossen worden wärst." Als Vicki klarwurde, was sie da
gerade gesagt hatte, wäre sie rot geworden, wenn sie dazu noch die Fähigkeit
besessen hätte. „Wo wir gerade beim Thema sind: Wie fühlst du dich?"
„Die Kugel hat mich nur gestreift." Henry hatte die
linke Hand in den Hosenbund geschoben, um den verletzten Arm zu stützen. Nun
bohrte er einen Finger durch das Loch in seinem Jackett. „Morgen bei Sonnenuntergang
findet du von der Wunde keine Spur mehr."
„Warum zum Teufel bist du eigentlich einfach so in das
offene Licht gerannt?"
Er zuckte die Achseln, wobei er einen kleinen
Schmerzenslaut nicht unterdrücken konnte. „Ich hörte Maschinengewehrfeuer und
dachte, du seiest in Gefahr."
Sie schnaubte. „Mein Gott, du bist genauso schlimm wie Mike.
Ich kann auf mich selbst aufpassen."
„Ich weiß, aber du existierst noch nicht sehr lange in der
Nacht."
„Henry, ich reibe es dir ungern unter die Nase: Es war der
Typ mit den Jahrhunderten Erfahrung auf dem Buckel, der heute Nacht mitten in
einen Bandenkrieg gelaufen ist..."
Im 13. Stock traten die beiden aus dem Fahrstuhl und
sorgten rasch dafür, daß die gesamte Flurbreite als Abstand zwischen ihnen lag.
„Also: Was ist heute Nacht geschehen?"
„Wir haben beide getrunken", sagte Henry
nachdenklich, aber es klang nicht gerade besonders überzeugt.
Vicki schüttelte den Kopf. „Ich glaube, es war mehr als
das. Ich glaube, wenn wir erst einmal die Beherrschung fahren lassen, dann
lassen wir damit auch all den Ballast fahren, der damit verbunden ist. Es
scheint doch so, als könnten wir beide prima miteinander auskommen, solange wir
uns auf vollständige Vernichtung konzentrieren."
„Dann ist das vielleicht der Grund dafür, daß wir als
einsame Jäger operieren müssen. Wenn das, was heute Nacht geschehen ist, die Regel
sein sollte, sobald unsereins sich zusammentut, dann hätten wir unsere Nahrungsmittelvorräte
ziemlich schnell dezimiert."
Mit dem Schlüssel in der Hand blieb Vicki vor der Tür der
Mietwohnung stehen. „Was geschieht morgen?"
„Mit dir und mir? Ich weiß nicht." Er lächelte und
zeichnete die Kurve ihrer Wange in der Luft nach, denn für eine Berührung
standen sie zu weit voneinander entfernt. „Aber eins weiß ich genau: Das
herauszufinden wird wieder eine neue Erfahrung sein."
Mike schlief tief und fest. Vicki stand an der Tür des
großen Schlafzimmers und sah ihm dabei zu, sah, wie sich seine Brust hob und
senkte. Verfolgte die Linie, die der Arm bildete, den er über den Kopf geworfen
hatte. Hörte seinem Herzschlag zu.
Er bewegte sich, und eine Haarsträhne fiel ihm ins
Gesicht.
Sie trat vor, die Hand ausgestreckt, um das Haar
zurückzustreichen, aber als sie sah, wie von der Handbewegung das blutgetränkte
Bündchen ihres Pullovers hochrutschte und sich ein dunkler Strich auf ihrem
Handgelenk abzeichnete, bleib sie stehen.
Mit einem Mal wollte sie nicht, daß Mike sie so sah.
Ihre Kleidungsstücke - alle Kleidungsstücke, auch die
Turnschuhe -wanderten in die Waschmaschine. Kaltwäsche, Kaltspülung, eine
doppelte Ladung Waschpulver.
Dann trat Vicki in die Duschkabine und sah dem Wasser zu,
wie es sich rot färbte, ehe es im Abfluß verschwand.
Acht
„4:09 Uhr." Mike ließ den noch nicht wirklich wachen
Blick von der Nachttischuhr zu Vickis Gesicht wandern. „Du kalkulierst ziemlich
knapp."
Vicki war länger in der Dusche geblieben, als sie
eigentlich vorgehabt hatte; so lange, bis die aufziehende Morgenröte es ihr
unmöglich machte, weiter unter dem prasselnden Wasserstrahl zu
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