Huff, Tanya
die Wange, dort,
wo eine nasse Haarsträhne ihn gestreift hatte. Das bißchen Nässe, der sanfte
Druck,
den ihre Lippen auf seinem Mund hinterlassen hatten und
ein schwacher Geruch nach Zahnpasta war alles, was blieb, um ihm zu versichern,
daß Vicki wirklich bei ihm im Zimmer gewesen war. Die Uhr zeigte 4:15 Uhr.
Sechzig Sekunden bis Sonnenaufgang.
Vicki lag auf dem Rücken im rosa Zimmer, ein hastig
gefaltetes Handtuch unter dem Kopf, um das Kopfkissen nicht naß werden zu
lassen, und fragte sich, warum sie keinerlei Schuldgefühle verspürte wegen...
wegen... sie runzelte die Stirn und mußte feststellen, daß sie nicht einmal
genau wußte, wie viele Männer sie dort im Lagerhaus tatsächlich umgebracht
hatte. Alle Einzelheiten waren mit dem Blut weggewaschen worden.
Sie zählten nicht. Weil die Männer nicht zählten. Nicht
für sie. Ihr Leben nicht und ihr Tod auch nicht.
Aber Henry...
„Also habe ich keine Probleme mit Gewalt, aber mit
Sex?" Vicki seufzte und wischte einen Wassertropfen fort, der von ihrer
Schläfe zum Ohr fließen wollte. „Na, wenn das nicht die Na..."
4:16 Uhr.
Sonnenaufgang.
Celluci streckte die Hand aus und löschte die
Nachttischlampe. Er würde froh sein, wenn Mitsommer käme und damit auch längere
Nächte. Längere Nächte - das machte Vicki zwar nicht auskunftswilliger, ließ
aber dem Detective mehr Zeit, die Wahrheit aus ihr herauszubekommen.
„Guten Morgen, Dr. Mui. Sie sind früh."
Die Ärztin sah auf die Uhr. „Es ist fast 6:45 Uhr. Früh
kann man das wirklich nicht nennen. Sind die Ergebnisse der Blutuntersuchung
aus dem Labor zurück?"
Die Nachtschwester nickte und übergab ihr einen großen
Umschlag. „Alle Patienten hatten eine ruhige Nacht."
„Danach hatte ich nicht gefragt." Die Ärztin klemmte
sich den Umschlag unter den Arm, trat in die Eingangshalle und ließ die Tür
zum Schwesternzimmer hinter sich zufallen.
Zicke. Das Lächeln der Schwester verriet nichts von ihren
Gefühlen. Immerhin konnte es sein, daß Dr. Mui sich noch einmal umwandte, um
durch die Vorhänge vor den Fenstern, aus denen alle Bürowände der Klinik zur
oberen Hälfte bestanden, einen Blick zurückzuwerfen - mit diesen halb
verglasten Wänden versuchte die Klinik zwei Fliegen mit einer Klappe zu
schlagen: Man wurde dem Sicherheitsbedürfnis der Patienten gerecht und
verhinderte gleichzeitig, daß das Gebäude zu sehr einem Krankenhaus glich. Die
Arbeit hier war gut bezahlt - zu gut, um den Job aufs Spiel zu setzen,
besonders jetzt, wo überall im Gesundheitsbereich drastische Kürzungen
vorgenommen wurden. Für das, was die Nachtschwester hier verdiente, war
Freundlichkeit der Drachin gegenüber nur eines von vielen Dingen, die sie zu
leisten bereit war.
Dr. Mui gab sich alle Mühe, weder die Farne, die die
Ärztezimmer schmückten, noch die Laura-Ashley-Drucke an den Wänden zu sehen und
ging sofort in eines der beiden Sprechzimmer, zu denen man direkt von der Halle
her Zutritt hatte. Im Gehen zog sie den Bogen mit den Laborergebnissen aus dem
Umschlag und warf einen ersten Blick auf die Daten. Als sie beim Schreibtisch
im Sprechzimmer angekommen war, machte sie einen sehr unglücklichen Eindruck.
„Dieser dumme, dumme Junge! Wie konnte er nur so dumm sein!" Sie sank auf
den Arztstuhl und ließ das Papier auf den Schreibtisch fallen. Diese
Laborwerte änderten alles.
Das Telefon klingelte, als er sich gerade Tee eingoß.
Kaffee trank er nur im Büro, zu Hause gab es Tee, weil Rebecca Tee stets lieber
getrunken hatte als Kaffee - außer bei Urlaubsreisen in die USA. „Wo sie",
wie die
Verstorbene zu sagen pflegte, „den Tee im Hafen von Boston
damals mit kaltem Salzwasser übergossen haben und seitdem in der Kunst der Teebereitung
nicht viel weitergekommen sind."
Er nahm das schnurlose Telefon, klemmte sich den Hörer
unters Kinn und bellte ein kurzes Hallo, während er zum Kühlschrank ging, um
sich Milch zu holen.
„Dr. Mui. Wir haben ein Problem. Die Bluttests, die ich
letzte Nacht anordnete, zeigen, daß der Spender HIV-positiv ist."
„Ich dachte, er sei sauber."
„War er auch. Ich nehme an, er ist losgezogen und hat
gefeiert, als er die gute Nachricht bekam."
„Das wird jetzt sehr unangenehm." Er nahm die Milch
aus dem Kühlschrank und schloß diesen rasch wieder, denn mochte eine offene
Kühlschranktür auch nur Pennybruchteile an Energiekosten verursachen: Er hatte
sein Vermögen nicht damit gemacht, der Elektrizitätsgesellschaft von British
Columbia Pennys in
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