Huff, Tanya
Jacke von der Stuhllehne. Noch konnte sie
jedem beliebigen Menschen gehören. Dr. Burke ignorierte die feuchten
Flecken, die ihre Finger auf dem
Jackenstoff hinterließen, griff in eine der vorderen Jack entaschen und holte zwei verpackte Bonbons und
einen halbgegessenen Schokoriegel
heraus. Die Hülle des Schokoriegels war mit Tesafilm sorg fältig wieder verschlossen worden.
Es sticht auch nichts dagegen, daß Donald seine Jacke
hier vergessen haben könnte.
Aber eigentlich hatten Dr. Burke und ihre Hoffnungen den
Kampf be reits
verloren, und das wußte die Wissenschaftlerin auch.
Die Ausweispapiere von Henry Fitzroy lagen noch dort, wo
sie sie hin geworfen hatte. Dr. Burke hängte sich die
Windjacke über den Arm und
beobachtete, wie ihre freie
Hand nach der Brieftasche nebst Inhalt griff und sie von einem ordentlich
gefalteten Kleiderstapel nahm. Eine Jacke kann man versehentlich irgendwo
zurücklassen - Jeans, ein Hemd, Socken und Unterwäsche jedoch nicht. Es
handelte sich bei den Kleidungs stücken um die von Donald, daran konnte kein Zweifel bestehen, und unter dem Stuhl standen, sorgfältig
parallel ausgerichtet, die hohen Bas ketballschuhe, auf die er so lächerlich stolz gewesen
war.
„Aber du spielst
doch gar kein Basketball, Donald!"
Voller Eifer pumpte Donald die beiden
kleinen, leuchtend orangefar benen Bälle auf, die in die Laschen
seiner neuen Schuhe eingelassen wa ren. „Was hat das denn
damit zu tun?" fragte er mit einem breiten Grin sen. „Wir reden hier
vom allerletzten Schrei in Sachen Fußbekleidung. Wir reden von modernster
Technologie, wir reden von Image!"
Dr. Burke schüttelte den Kopf und seufzte. „Den Anschein
des Sport lers erwecken, ohne den Schweiß zu vergießen?" riet
sie.
Das Grinsen wurde noch breiter: „Sie
haben es erfaßt!"
Dr. Burke hielt immer noch die Jacke und die Brieftasche
des Vampirs in der Hand. Langsam wandte sie sich nun der Isolierbox zu. Nummer eins bis neun hatten sie damals aus der
pathologischen Abteilung der medi zinischen
Hochschule bezogen, allesamt bereits sehr tot. Marjory Nelson war bereits todkrank gewesen. Aber Donald? Donald war
sehr lebendig gewesen!
Dr. Burke trat einen Schritt vor und fühlte sich so sehr
von der Reali tät abgeschnitten, daß sie sich bewußt darauf
konzentrieren mußte, ih ren Fuß wieder auf den Boden zu setzen.
Irgendwie schien das Gehen keine automatische Bewegung mehr zu sein. Sie sah
Donald vor sich, wie er damals in ihrem Büro gesessen und sich
angehört hatte, warum man ihn nicht nur von der medizinischen Hochschule verweisen,
sondern auch noch Anklage gegen ihn erheben
sollte. Seine Augen hatten damals dun kel
und fröhlich gefunkelt, und er hatte sich völlig uneinsichtig gezeigt. Sie
hatte ihn gefragt, warum er die Sache eigentlich gemacht hatte, und er hatte einen Moment lang tatsächlich
nachdenklich dreingeschaut, ehe er dann geantwortet hatte: „Ich wollte einfach
mal sehen, was passiert." Es war
Dr. Burke gelungen, ihn vom Haken zu holen, und die Einzelheiten des Falls
waren in Vergessenheit geraten, als der Professor, der den Zwischenfall
entdeckt hatte, im darauffolgenden Semester eine Berufung an eine der Universitäten im Westen erhielt.
Dr. Burke trat noch einen Schritt vor. Sie sah Donald mit
gerunzelter Stirn über das neurale Netz
gebeugt stehen; die Unterlippe zwischen sei ne Zähne geklemmt, glitten seine geschickten Hände über die goldenen Stränge,
während er mit dem komplizierten Aufbau kämpfte.
Noch ein Schritt, und Dr. Burke sah Donald die Hand
einer leicht ver wirrten Catherine anheben, um ihr „Fünf zu
geben", als Nummer vier endlich auf die geballten Anstrengungen ihrer drei
genialen Hirne rea giert hatte.
Noch ein Schritt. Sie sah Donald, der mit ihr einen
kleinen privaten Trinkspruch auf Glück und Reichtum ausbrachte, wobei er den
schottischen Whiskey kaum mit den Lippen berührte, da er nie Alkohol trank.
Noch ein Schritt; Donald stimmte zu, daß Marjory Nelson
der unaus weichliche
nächste Schritt sein würde.
Nun berührte Dr. Burke mit den Knien die Isolierbox, und
deren Vi brationen schienen sich in ihre Gelenkknochen bohren zu
wollen. Die Wissenschaftlerin zuckte zurück und erstarrte.
Sie blickte hinunter auf ihr Spiegelbild, das sich vor
ihren Augen zu einer Prozession aus grauen, verzerrten Gesichtern wandelte, der
Ruhe beraubt, die Körper durch klaffende
Einschnitte verunstaltet, die man mittels
rasch gesetzter Stiche schwarzen Fadens zusammengeflickt
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