Huff, Tanya
Mike,
warum ist es eigent lich nie einfach?"
Wieder so eine gute Frage. „Das
kann ich dir auch nicht sagen, Vicki. Vielleicht..."
Celluci beendete den Satz nicht, denn er konnte sehen,
wie alle Farbe aus dem Gesicht der Freundin wich. „Vicki?
Was ist?"
„Es ist ein vierwöchiges Praktikum." Vickis Hände
zitterten so stark, daß sie die Finger nicht ineinander verschränken konnte; also
ballte sie sie zu Fäusten und drückte diese
mit aller Kraft gegen die Oberschenkel. „Die Ärzte gaben meiner Mutter noch sechs Monate zu leben." Vicki
hat te einen Kloß im Hals, der ihr
das Sprechen unendlich erschwerte. „Sie konnten nicht immerfort Leute in diesem
Beerdigungsinstitut unterbringen." Warum nur hatte sie das nicht eher
gesehen? „Meine Mutter mußte in diesen vier Wochen sterben." Sie wandte
den Kopf und erwiderte Cellucis Blick
unverwandt. „Weißt du, was das heißt?"
Er wußte es.
„Mein
Mutter ist umgebracht worden, Mike!" Vickis Stimme schien nur aus Stahl und Eis zu bestehen. „Und wer war
bei ihr, Sekunden ehe sie
starb?"
Celluci griff hinter sich und zog das Telefon zu sich
heran. „Ich glaube, wir haben hier etwas, was Fergusson sich
anhören wird ..."
„Nein." Langsam stand Vicki auf, und
ihre Bewegungen wirkten abge hackt und kaum beherrscht. „Zuerst
einmal müssen wir Henry retten. Wenn er in Sicherheit ist, dann hat dieser
Frau das Stündchen geschlagen. Aber vorher nicht."
Sie würde Henry nicht so im Stich lassen, wie sie ihre
Mutter im Stich gelassen hatte.
Zwölf
Der Tag gab seine lähmende Macht über Henry auf, doch mit
dem Be wußtsein kam auch die Panik zurück. Noch immer war der
Vampir in dem Stahlsarg eingeschlossen, umhüllten ihn der
Gestank des pervertierten Todes und der beißende Geruch seiner eigenen Angst.
Es fiel Henry schwer, sich gegen die Panik aufzulehnen, und
die ersten beiden Schläge gegen die Wölbung aus gepolstertem Metall über ihm konnte
er nicht verhindern. Den dritten Schlag
hielt er auf; er war jetzt voll bei Bewußt sein und hatte damit auch seine Selbstkontrolle wiedererlangt. Henry
erinnerte sich der vergeblichen Bemühungen der vergangenen Nacht und wußte, daß bloße Körperkraft allein nicht
ausreichen würde, ihn zu befreien.
In Henrys Kopf überschlugen sich die Bilder: der junge
Mann, erwürgt, eben erst gestorben; der ältere Mann, schon
so lange tot, aber doch nicht tot, aber auch nicht lebendig; die
junge Frau, farbloses Haar, blasse Haut, leere Augen. Henry
schluckte, schmeckte Blut und hätte um ein Haar die Kontrolle verloren, als der Hunger
sich nun aufbäumte.
Der Hunger war zu stark, zu mächtig, er ließ sich nicht
zurückdrängen. Henry schaffte es kaum, die Trennung zwischen seinem Ich und dem Hunger aufrechtzuerhalten.
Dabei hatte er in der vergangenen Nacht Blut getrunken.
Eigentlich hätte der Hunger ihm gehorchen müssen! Da merkte
Henry, daß sich seine Arme beim wüsten Umherschlagen in den
schweren Falten seines Ledertrenchcoats verfangen hatten. Jemand hatte ihm
Mantel und Hemd ausgezogen und sich nicht die Mühe gemacht, ihn
auch wieder anzuziehen, so daß er nun mit nacktem Oberkörper
dalag. Dann entdeckte er die Einstiche von einem guten Dutzend
Nadeln.
Ich will nicht den Rest meines Lebens auf
einen Tisch geschnallt verbringen! Das würde mir ebensowenig
gefallen, wie wenn man mir den Kopf abschlüge und
den Mund voller Knoblauch stopfte!
Zu
dieser Erkenntnis war Henry bereits vor einem Jahr gekommen - damals hatte er sie halb im Scherz entsprechend
formuliert. Jetzt war ihm nicht nach Scherzen zumute. Anscheinend hatte
am Tag Versuche mit ihm angestellt. Seine
Panik gewann die Überhand, und der Hunger über rollte ihn wie eine rote Woge.
Noch ein zweites Mal in dieser
Nacht erlangte Henry sein Bewußtsein zurück, und es brachte solche Schmerzen und eine so
ungeheure Erschöpfung mit sich, daß er seinen völlig verdreht daliegenden
Körper kaum wieder
auszustrecken vermochte. Offenbar hatte sein vom Blutver lust geschwächter Körper die Notbremse
gezogen und der Hysterie eine Grenze gesetzt.
Kann nicht gerade behaupten ... daß ich es
ihm verdenken kann! Selbst das Denken tat weh,
und sein Hals war wund vom Schreien. Henrys Körper wies überall Prellungen auf
- an Knien und Ellbogen so schwer, daß sie die Knochen in Mitleidenschaft gezogen hatten
- und erhob bei jeder Bewegung schmerzhaft
Protest. An der linken Hand waren zwei Finger gebrochen und die Haut über den Fingerknöcheln aufgeplatzt.
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