Huff, Tanya
Kiste sinken.
„Wenn ich sie morgen früh anrufe, hat sie
genügend Zeit zum Nach denken gehabt und weiß, daß ich es ernst
meine."
Henry konnte zwar nach wie vor nichts anderes riechen
als das Übel, aber er erkannte die Stimme. Sie gehörte der
blassen jungen Frau mit den leeren Augen.
„Sie ist eine vernünftige Person, und ich bin sicher,
daß sie als Wissen schaftlerin meine Position bald nachvollziehen können wird."
Die junge Frau war verrückt; daran hegte Henry, der
ihren Verstand berührt hatte, keinen Zweifel. Andererseits
stand sie draußen vor der Kiste, war also in der Lage, ihn zu
befreien. Verrückt oder nicht: im Mo ment war sie sein
einziger Stein im Brett. Ohne auf seine schmerzenden Knochen zu achten, drehte
und wand Henry sich so, daß sich sein Mund ganz nah an der Belüftungsanlage
befand. Und er zwang sich dazu, so vernehmlich und ungezwungen wie irgend
möglich zu sprechen.
„Entschuldigen
Sie bitte? Könnten Sie wohl den Deckel öffnen?"
Einen winzigen Moment lang dachte er, diese
Bemerkung in all ihrer Normalität hätte Erfolg gehabt, wo Charme und
Überredungskünste auf jeden Fall versagt haben würden. Er konnte
durch den Gestank perver tierten Todes hindurch einen Hauch ihres
Geruchs spüren, Gott sei Dank nicht ausreichend stark, den Hunger
seiner Kontrolle zu entreißen. Auch konnte er ihre Hände am
Riegel hören. Dann antwortete sie.
„Wenn ich es recht bedenke, kann ich das
nicht. Ich hatte heute noch gar keine Zeit, Gewebeproben zu entnehmen."
„Aber das ist doch kein Problem. Wenn Sie
Gewebeproben entnehmen wollen, dann lassen Sie mich einfach hier
raus und ich bleibe solange, bis Sie sie entnommen
haben." Henry schluckte; er mußte die Angst nieder kämpfen,
die in ihm aufzusteigen drohte. Laß' mich einfach nur hier raus!
„Nun, Biopsien bei lebenden Personen kann ich nicht so
gut. Ich glau be, ich warte lieber bis morgen."
Biopsien bei lebenden Personen kann ich nicht
so gut? Wovon zum Teufel redete die Frau? „Aber
ich werde auch morgen noch am Leben sein."
„Nicht wirklich." Das klang so, als würde sie auf
etwas so Offensichtli ches hinweisen, daß sie nicht recht
verstehen konnte, wieso er das The ma überhaupt angesprochen
hatte.
Dann hörte Henry,
wie die Frau sich entfernte. „Warten Sie!"
„Was ist denn nun
noch? Ich habe heute nacht noch viel zu tun!"
„Hören Sie, wissen Sie, was ich bin?"
Eigentlich mußte sie das wissen - wenn man alle Umstände in Betracht zog.
„Ja. Sie sind ein
Vampir."
„Wissen Sie auch,
was das heißt?"
„Ja. Sie haben
überaus faszinierende Leukozyten."
„Ich habe
was?" Die Frage entfuhr Henry fast gegen seinen Willen.
„Leukozyten. Weiße Blutkörperchen. Und auch Ihr
Hämoglobin ver fügt über erstaunliches Potential."
Wenn ich ihr noch lange zuhöre, bin ich am
Ende so verrückt wie sie! „Wenn Sie wissen, was
ich bin, dann wissen Sie auch, was ich Ihnen geben kann." Henrys
Stimme hallte von den Innenseiten der Isolierbox wider, zeitlos, machtvoll.
„Lassen Sie mich frei und ich gebe Ihnen das ewige Leben. Dann werden Sie nie
altern. Sie werden nie sterben."
„Nein danke. Ich arbeite zur Zeit an
etwas anderem."
Und er hörte, wie sie sich entfernte.
„Warten Sie!" Er zwang sich, stillzuliegen und zu
lauschen, aber alles, was er hören konnte, war das Pochen seines
eigenen Herzens, und aus Henry Fitzroy, dem unehelichen Sohn Heinrichs
VIII., dem 450 Jahre alten Vampir, wurde auf einmal einfach nur Henry Fitzroy.
„LASSEN SIE MICH
NICHT ALLEIN!"
„Weißt du", sagte Catherine und
zog die schwere Stahltür hinter sich zu,
„ich hatte nicht gedacht, daß er so viel Lärm machen würde. Wie gut, daß wir ihn hier untergebracht haben." Sie
schob ein Vorhängeschloß durch die Ösen des Sicherheitsriegels und ließ es
zuschnappen. „Hier wird ihn Dr. Burke jedenfalls nicht hören
können."
Nummer
neun starrte auf die Tür. Das Warnschild „Achtung: Hoch spannung" sagte ihm nichts, aber er erinnerte sich daran, in der
Box ein gesperrt gewesen zu sein. In
derselben Box. Es hatte ihm nicht gefallen.
Langsam schlossen sich die beiden noch funktionsfähigen
Finger sei ner rechten Hand um den Riegel.
Catherine, die den Raum schon halb durchquert hatte,
wandte sich um, als das Schloß an der Stahltür
klapperte, aber standhielt. „Was ist? Was stimmt denn nicht?"
Ohne den Riegel loszulassen, drehte er sich langsam und
vorsichtig zu ihr um und sah sie an. Es hatte ihm nicht
gefallen, in der Box
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