Huff, Tanya
sorgsam gefaltet, neben einer ledernen Reisetasche ein schwerer Verdunkelungsvorhang. Ein weiteres
Vorhangstück war an ei ner Seite der Tür befestigt, und die Tür selbst
hatte jemand mit einem schweren Stahlriegel
versehen.
Das wird Henry getan haben. Nachdenklich
berührte Vicki das Metall mit den Fingern und schüttelte den
Kopf. Sie hatte niemanden hämmern hören, aber wie sie Henrys Kraft kannte, war
Hämmern unter Umstän den auch gar nicht
notwendig gewesen. Wir sollten nicht vergessen, das wie der abzubauen. Das verwirrt sonst den Nachmieter
total.
Den Nachmieter! Für Vicki hatte bisher die Wohnung immer
ihrer Mutter gehört. Das ist normal. Vicki ließ sich
gegen die Wand fallen und schloß die Augen. Meine Mutter ist tot.
Der Duft des Parfüms, das ihre Mutter benutzt hatte, und
damit der Duft
ihrer Mutter selbst, durchdrang jeden Winkel des kleinen Raums, und wenn Vicki die Augen fest schloß, kam es ihr
vor, als sei ihre Mutter immer noch
anwesend. Ein Trugschluß, der die junge Frau zu jeder ande ren Zeit
entweder getröstet oder in heftige Wut versetzt haben würde -Vicki war ehrlich
genug, sich einzugestehen, daß beide Reaktionen im Bereich des Möglichen lagen. Im Moment jedoch schenkte sie dem Duft keine
Beachtung. Sie war nicht ihrer Mutter wegen hier im Schrank.
Also
öffnete sie die Augen, kniete sich hin und hob das Leichentuch, das Henry sich provisorisch zurechtgeschneidert
hatte, an das Gesicht. Im schweren Stoff hing eine leise Erinnerung an
ihn. Vicki atmete tief ein.
Er war nicht vernichtet! Vicki weigerte sich, Henrys
endgültigen Tod für möglich zu halten. Der Freund war zu real, um tot sein zu
können.
Er war nicht vernichtet.
„Was machst du
da?"
„Das weiß ich nicht so genau." Vicki legte das Stück
Vorhang beiseite und wandte sich Mike zu, dessen Silhouette sie in der
Türöffnung erken nen konnte. Die Knöchel, die die Stoffalten umklammert gehalten
hatten, waren schneeweiß. Mike hatte die Schlafzimmerjalousien aufgezo gen und stand nun mit der Morgensonne im Rücken
da. Sein Gesicht lag im Schatten,
aber sein Ton war sanft gewesen. Vicki hatte keine Ahnung, was er wohl gerade dachte.
Er streckte ihr die Hand hin, und sie legte die ihre hinein, ließ
es zu, daß er sie hochzog. Mikes Hand war
warm, die Handfläche voller Schwie len;
Henrys Hand wäre kühl und glatt gewesen. Vickis freie Hand ruhte auf Mikes zerknitterter Hemdbrust, und plötzlich
überfiel die junge Frau das völlig
irrationale Verlangen, einfach diesen einen weiteren Schritt zu tun, sich in die bereitstehenden Arme sinken zu
lassen, ihren Kopf und den ganzen grauenhaften Schlamassel, in dem sie sich
befand, an seine breiten Schultern zu lehnen, und sei es auch nur für einen
kurzen Moment.
Nicht weich werden! Das geht jetzt
nicht!, wies sie sich zurecht und spür te deutlich, wie sich
eiserne Ringe noch fester um ihre Rippen legten. Du hast
zuviel zu tun.
Mike hatte beides, das Verlangen und die
innere Reaktion darauf, in Vickis Gesicht ablesen können. Er lächelte und trat beiseite.
Er sah die Last, die auf der Freundin ruhte, sah die purpurnen
Augenränder, die ver kniffenen Mundwinkel und wußte, daß sich ein
Teil dieser Anspannung möglichst bald lösen mußte, da es Vicki ansonsten in
Stücke reißen wür de. Aber er wußte nicht, was er dafür tun
konnte. Früher hatte ein heftiger Streit zwischen ihm und Vicki oft
therapeutische Wirkung gezeigt. Die Lage jedoch, in der
sie nun waren, erforderte mehr als die Erleichte rung, die man
verspürt, wenn man sich gegenseitig wegen irgendeiner Ne bensächlichkeit
lautstark angeschrien hat. Mike hätte zwar ein paar nicht ganz
so nebensächliche Streitpunkte anführen können, aber er wollte Vicki
keinesfalls wehtun, indem er sie zur Sprache brachte. Also konnte er nichts tun
als warten und hoffen, er möge derjenige sein, der zur Stelle war, wenn es
galt, Scherben aufzulesen.
Wenn Fitzroy wirklich ins Gras gebissen
hatte ... Ein unehrenhafter Gedanke, der
sich trotzdem hartnäckig im Kopf des Detective einnistete.
„Na gut." Er sah ihr zu, wie sie zur Schlafzimmertür
ging, und fragte sich, wie lange er sich wohl mit dem Status Quo
zufriedengegeben hätte, wenn Fitzroy nicht in ihrer beider Leben
getreten wäre. „Was jetzt?"
Vicki wandte sich um und starrte den Freund erstaunt an.
„Wir tun ge nau das, was wir vorher auch gemacht
haben." Mit einem Ruck schob sie ihre Brille zurecht. „Wenn wir erst
einmal die Leute gefunden haben, bei
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