Human
bemühte sich, das emotionale Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Seien Sie doch vernünftig, Josini! Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, das Sie derart beunruhigt hat, aber wenn ich gewusst hätte, dass Sie so reagieren, dann hätte ich es bestimmt nicht gesagt, oder?«
Ihr Gastgeber, der auf einmal gar nicht mehr so freundlich war, zögerte. Der Lauf seiner Waffe wankte. Ingrid sah rasch nach links. Der Neffe machte ihr viel größere Sorgen. Es warwissenschaftlich erwiesen, dass rationale Handlungen bei einem Mann umgekehrt proportional zu dessen Alter waren. Vusi war sichtlich verwirrt und sah zwischen seinem Onkel und ihren beiden Passagieren hin und her.
Nach einem Moment, der eine Ewigkeit zu dauern schien, gab der alte Mann nach. Die Pistole verschwand in seiner Weste, und sein Lächeln kehrte zurück. Es war, als wäre die erschreckende Konfrontation nur ein schlechter Traum gewesen, wie ein scharfer Schmerz, der einige Sekunden lang durch den Kopf schießt und bewirkt, dass alles schwarz wird.
» Uxolo … Es tut mir leid, meine Freunde.« Sein Tonfall war freundlicher geworden, der starre Blick, mit dem er Ingrid ansah, jedoch nicht. Sie überlegte, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte. In einem Land, in dem viele Gebräuche überlebt hatten, wären Herausforderungen und Fragen traditionsgemäß an ihren männlichen Begleiter und nicht an sie gerichtet worden. Entgegen jeglicher Konventionen war Umfolozi jedoch aufgeklärt genug, um sich an die Intelligentere seiner Gäste zu wenden. Er blickte seinen Neffen an.
»Vusi! Was ist los mit dir? Leg die Waffe weg!«
»Yebo, Onkel, aber du …«
»Leg sie weg.« Der alte Mann deutete auf die vielen Menschen, die an beiden Seiten des großen Trucks vorbeigingen. »Geh und hilf deinen Brüdern und Schwestern beim Ausladen. Ich bin gleich bei euch.«
Der jüngere Mann sah die beiden Besucher unsicher an. »Bist du sicher, dass du alleine klarkommst, Onkel?«
»Ja, ja, natürlich!« Er drehte seinem Neffen den Rücken zu und lächelte Ingrid erneut an. »Ich habe einen kleinen Fehler gemacht, das ist alles. Das passiert, wenn man wochenlang alleine in der Karoo gewesen ist. Insbesondere, wenn manin der Zeit im Bauch eines Elefanten gelebt hat, verdammt. Jeder macht Fehler, yebo?«
»Ja, klar.« Whispr, der noch immer etwas verwirrt wirkte, kam wieder zu ihnen nach vorne. »Ich habe schon jede Menge Fehler gemacht.«
»Ich weiß noch immer nicht, was passiert ist.« Ingrid sah vollkommen verwirrt dabei zu, wie Vusi aus dem Truck ausstieg. Als die Tür offen stand, war das Lachen und Geplapper der Frauen und Kinder in dem ansonsten schallgedämpften Führerhaus zu hören. »Was habe ich denn gesagt, das Sie so in Aufregung versetzt hat? Was ist falsch daran, dass wir in die Namib wollen?«
Obwohl er sie erst Augenblicke zuvor mit der Waffe bedroht hatte, war ihr Gegenüber jetzt so freundlich und amüsant wie zuvor, nachdem sich die Tür hinter seinem Neffen geschlossen hatte. »Du hast gesagt, dass ihr nach Nerens in die Namib wollt. Zuerst einmal ist das eine ziemlich überflüssige Bitte. Die Namib ist bereits nirgendwo. Ach, das hatte ich vergessen: Namerikaner sprechen ja kein Afrikaans. ›Nerens‹ ist ein altes Afrikaans-Wort für ›nirgendwo‹. Du hast Vusi also gebeten, euch nach Nirgendwo in Nirgendwo zu bringen.«
»Okay.« Whispr nickte. »Jetzt ist mir klar, dass die Bitte euch zum Lachen bringen kann. Ich begreife aber immer noch nicht, wieso wir daraufhin mit der Waffe bedroht wurden.«
Umfolozis Lachen erstarb. So schnell, wie man in einer klassischen griechischen Tragödie die Masken wechselte, wurde er wieder ernst. »Nerens ist eine Stadt, die Saft gehört. Niemand außer zugelassenen Firmenmitarbeitern dürfen sich auch nur in der Nähe aufhalten oder sie gar betreten. Es gibt nicht viele Menschen, die überhaupt von ihrer Existenz wissen.«
Da er diverse Begegnungen auf der Straße überlebt hatte, indem er instinktiv gelernt hatte, dass Angriff die beste Verteidigung war (mit Ausnahme der Angriffe, bei denen man getötet wurde), fragte Whispr frech: »Woher wissen Sie dann davon?«
Der ältere Mann nahm seinem Gast die Anschuldigung nicht übel. »Es gehört zu meinem Geschäft, Orte zu kennen, von denen andere nichts wissen. Ich bin nie selbst dort gewesen, aber ich habe viele Geschichten darüber gehört. Ich handle mit vielen Dingen, auch mit Informationen.«
Schon hatte Ingrid die Waffen vergessen, die eben noch
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