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Hummeldumm

Hummeldumm

Titel: Hummeldumm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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von mir. Er trug eine dicke Fleecejacke, eine Wollmütze mit dem Logo der Lodge und Handschuhe. Er trug Handschuhe!
    »You're alright?«, fragte er mich mit besorgtem Blick.
    »Absolutely!« Ich versuchte den Daumen zu heben, was aber nicht mehr recht ging. Und dann stimmte Speckhut von hinten auch noch ein Lied an. Ja, unser Jeep war gelb. Aber musste man deswegen gleich singen?
    »Hoch auf dem gelben Wagen sitz' ich beim Schwager vorn ...«, tönte es nun durch die Wüste, und ich fragte mich, warum die anderen mitsangen, statt ihn mit einem lockeren Kinnhaken vom Jeep zu hauen.
    »Vorwärts die Rosse jagen, lustig schmettert das Horn ...«
    Mein Magen krampfte sich zusammen. Warum beschallte dieser trübäugige Trottel-Chor die schutzlose Natur mit derart armseligem Liedgut?
    »Felder, Wiesen und Auen, leuchtendes Ährengold ...«
    Ich war mir sicher: Hinter der nächsten Düne kotzten Springbock, Oryx und Gnu ihre Verzweiflung in den roten Sand der Kalahari. Hilflos blickte ich zum Fahrer und konnte nicht fassen, was ich sah: Auch er sang mit!
    »Möchte ja so gerne noch schaaaauuueen, aaaaber der Wagen, der rollt!«
    Das war zu viel! Ich machte dicht und fuhr mich runter in den Gemüsemodus, das heißt: Ich kappte die Verbindung zur Außenwelt und stellte mir vor, ich sei ein weichgekochtes, emotionsloses Gemüse. Normalerweise nahm ich gerne Aubergine, heute war es Tiefkühlgemüse. Meine Hände verwuchsen mehr und mehr mit den blitzkalten, stählernen Haltegriffen des Jeeps. Den tödlichen Fahrtwind hingegen spürte ich nun nicht mehr.
    Mit einem Mal zuckte ich zusammen. Vielleicht war ich ja schon derart unterkühlt, dass ich sterben würde? Ohne Strom und Wohnung würde ich im roten Sand zitternd den letzten Atemzug nehmen, umringt von meiner trällernden Reisegruppe unter der Leitung eines Wiener Scherzprofessors. Würde er wirklich auch meinen Tod noch durch seinen Reimwolf drehen?
     
    >Voller Wehmut sog i leise,
    san nur noch acht auf dieser Reise.
    Der Matze is heut von uns gangen,
    an der Händ zwa Eisenstangen.
    Hot weder Strom kabt noch Humor,
    des kommt bei Piefkes öfters vor.
    Am zweiten Tag hat's er'm zerrissen,
    ganz sicher wird er uns vermissen!<
     
    Ich wollte schreien, doch es ging nicht. Ich schluckte und wusste: Ich würde der erste Tourist sein, der so dämlich war, in der Wüste zu erfrieren! Elendig verrecken würde ich, und nur die singenden Silberköpfe würden überleben wegen ihrer dicken TCM-Fleecejacken. Was würden meine Eltern sagen, wenn sie die Bild-Zeitung aufschlugen und lasen: >Erfrorener Trottel-Tourist: jetzt spricht die Freundin!<
    Irgendwann müssen wir dann doch angekommen sein. Ich bekam zwei Decken und eine Tasse Tee mit Keksen, die eigentlich als Überraschung und Mini-Frühstück gedacht waren nach der Wanderung. Sina rubbelte meinen Rücken warm und goss Tee nach.
    »Du Armer, warum haste denn nichts gesagt? Der Kevin hätte dir sicher ne Jacke gegeben, oder?«
    Der feine Herr Schnabel bestätigte dies. »No!«
    Da ich noch immer halb Tiefkühlbrokkoli, halb Mensch war, zuckte ich nur mit den Schultern.
    Kurz darauf standen wir auf einer der Dünen und betrachteten den roten Sand. Die Gruppe hatte sich ein wenig zerstreut, jeder schien etwas anderes zu fotografieren: Speckhut eine Blüte am Strauch, Schnabel die Dünen und die Schweizerin aus Hannover ihre eigenen Fußspuren, die sie, wie sie später zugab, für die Spuren eines gefährlichen Raubtiers gehalten hatte.
    Noch während ich auftaute, wurde mir klar, dass die Wanderung gar keine Wanderung war, sondern so eine Art Wüstenkunde. Im Grunde genommen ging es darum, dass wir alle hier rausgefahren waren, um »die Zeitung der Wüste« zu lesen, was Bahee, der mit Wasserflasche und dem grünen Hemd von gestern vor einer Tierspur stand, auch genau erklärte: »Die Buschmänner früher, ne, die habe jeden Morgen die Wüstenzeitung gelesen, so wie wir den Süddeutsche oder auch die taz, ne.«
    »Oda an Kurier«, ergänzte Speckhut.
    »Oder die Kurier, genau, ne«, lachte Bahee. »Die Buschleute aber haben naturlich nicht die Kurier gelesen, sondern die Kalahari Newspaper. Das musst ihr euch mal so vorstelle jetzt, ne, dass die Buschleute aufgestanden sind, und noch bevor sie den Fernseher angeknipst haben ...«
    »Den Schwarzweiß-Fernseher?«, kalauerte Speckhut.
    »Genau, hehe, super, Pepi, also bevor die sich ihre Schwarzweiß-Fernseher angeknipst haben oder so, ne, die habe geguckt in die Sand, und dann habe

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