Humphrey, ich und Kokolores (German Edition)
Jahrhunderts.«
Ich hob beide Augenbrauen, bemüht meinen offenen Mund zu schließen, bevor ihm ein Schrei entfuhr.
»War nur ein Witz«, gestand sie lachend. »Wir schauen Der Vampir von Sussex .«
»Sherlock Holmes?«, fragte ich erstaunt und erfreut zugleich.
»Ja, genau, magst du ihn?«
»Ich verehre ihn!«
»Ich auch.« Nele strich sich über ihren geblümten Wickelrock und ließ sich auf die Hollywoodschaukel fallen. »Die heutigen Krimis mag ich nicht. Die sind irgendwie alle gleich. Aber Sherlock Holmes ist einfach der weltbeste Detektiv.«
Ein wohliges Gefühl der Erleichterung durchflutete mich. Das widerborstige Pflegekind entpuppte sich als überaus nett.
»Wie viele seid ihr eigentlich in der Klasse?«
Neles leuchtend blaue Augen verdüsterten sich. Als ob ein Schatten darüber huschte. »22.«
»Geht ja noch«, murmelte ich.
»Wenn man es jeden Tag mit denen aushalten muss, wird es schnell unerträglich. Besonders Finja.«
»Was ist denn mit Finja?«, fragte ich interessiert.
Nele zog die Nase kraus. »Sie ist eine arrogante Zicke. Nennt mich Secondhand-Kind, weil ich…weil...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, aber ich verstand auch so.
»Hat sie auch einen Spitznamen?«
»Nein. Aus mir völlig unverständlichen Gründen himmeln sie alle an. Nur weil sie reich ist und immer das Neuste vom Neusten hat.«
»Das ist doch nur oberflächlicher Scheiß«, rutschte es mir heraus. »Nur weil man das neuste Smartphone hat, ist man doch nicht gleich nett.«
»Das nicht. Aber wenn man ein großes Haus hat und jeden zweiten Monat eine Mottoparty veranstaltet, von der noch wochenlang geschwärmt wird, dann reißen sich alle darum, mit dir befreundet zu sein.«
»Mottopartys? Und wie sind die so?«
Nele zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, ich werde nie eingeladen.«
3.Kapitel
Nachdem ich erstaunlich gut auf dem Besucherbett im Nähzimmer geschlafen hatte, war meine Stimmung trotz des bevorstehenden Theaterbesuches ziemlich gut. Meinen Lieblingssong singend, startete ich die Kaffeemaschine, fütterte den Kater, der noch auf seinem Kissen neben dem Kühlschrank schlief, bereitete das Frühstück vor und entdeckte dann einen Zettel von meiner Mutter auf dem Küchentisch.
Haushaltsgeld ist im Kuvert unter dem Salzstreuer. Ich bin um halb sechs mit dem Taxi gefahren, du weißt, große Abschiedsszenen liegen mir nicht. Ich meld mich. Gruß, Mama
Ich öffnete den Schrank und nahm das Kuvert heraus.
»Wow, hast du eine Bank überfallen?«
Ich wirbelte herum und sah in zwei leuchtend blaue Augen. »Haushaltsgeld«, erwiderte ich mit einem leichten Grinsen und zählte die Hunderteuroscheine in der Hand. Es waren zehn.
»Sie hat doch vor wiederzukommen, oder?« Nele griff sich ein Rosinenbrötchen und bestrich es mit Butter. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte fröhlich bei jeder Bewegung.
»Aber natürlich. Meine Mutter ist...unsere...äh..ich meine...«
»Ich nenne sie Inge«, sagte Nele nur und biss herzhaft in ihr Brötchen.
»Sie hatte schon immer Angst, dass ich verhungere. Vielleicht traut sie meinen Kochkünsten auch nicht so über den Weg.« Ich steckte das Geld zurück ins Kuvert und setzte mich an den Küchentisch.
»Sie sagt, du lässt selbst Wasser anbrennen.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte ich und überlegte gleichzeitig, ob ich irgendwann einmal Wasser hab anbrennen lassen. Nun, ein Rührei ist mir einmal in der Mikrowelle explodiert, aber das lag vermutlich mehr am Restalkohol im Blut, als an meinen Kochkünsten.
»Kannst du heute Abend Ente à l'orange machen? Das esse ich am liebsten.«
Mir fiel mein Croissant aus der Hand. »Ähm, also...«
Nele prustete. »Etwas vom Chinesen tut es auch«
»Lass die Witze!«, neckte ich sie und warf mit einer Rosine nach ihr.
»Ich hab echt kein Bock auf diesen Klassenausflug. Ich würde das Theaterstück viel lieber mit dir alleine oder mit Inge anschauen. Können wir nicht schwänzen und etwas anderes machen? Nach Hagenbeck oder so fahren?«
Ich schmunzelte. »So schlimm wird das schon nicht«, meinte ich blauäugig. Wie sehr ich mich irrte!
Um kurz vor halb acht fanden Nele und ich uns auf dem Platz vor dem Schulgebäude ein. Es war nicht schön wieder dort zu sein. Gar nicht schön. All die unliebsamen Erinnerungen an die Demütigungen meiner Kindheit und Jugend kamen wieder hoch. Hoffentlich lief ich hier nicht auch noch einem meiner ehemaligen Lehrer über den Weg. Da die meisten
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