Humphrey, ich und Kokolores (German Edition)
damals auch keiner älteren Dame den Gehstock mit Senf eingeschmiert, woraufhin diese ausrutschte und auf einen Chihuahua fiel, der sich dann in ihr Hinterteil verbiss. Beim Versuch den Hund von dem Hintern der Dame zu entfernen, wurden drei Museumsmitarbeiter verletzt, einer musste sogar eine Tetanusspritze bekommen.«
Ich lachte schallend, was meine Mutter mit einem Kopfschütteln kommentierte.
»Das ist nicht komisch.«
»Doch, genau das ist es!«
»Wie dem auch sei. Um dieses Mal für etwas mehr Benehmen zu sorgen, wirst du mich vertreten.«
»Mama, das kannst du nicht verlangen, ich meine...ich...ich kann mit Kindern nicht umgehen, das weißt du!«
»Sie sind dreizehn, sie müssen nicht gewickelt und gefüttert werden, Lucy!«
»Teenager sind vermutlich noch anstrengender als Kinder. Ich komme mit denen nicht zurecht.«
»Unsinn, du warst doch selbst mal in dem Alter.«
»Ja, und auch damals kam ich mit ihnen nicht zurecht. Du erinnerst dich noch an das Schuh-Fiasko, oder?«
Betreten blickte meine Mutter zu Boden.
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Schuhe geklaut waren!«
Wütend funkelte ich meine Mutter an. Dieser vermutlich peinlichste Tag meiner Schulzeit hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt. Es war Nikolaus gewesen. Freudestrahlend hatte ich neben meinem mit Schokolade gefüllten Stiefel, schicke neue Sportschuhe erspäht. Sie waren weiß, mit rosa und lila Herzen. Genau solche hatte ich mir seit Wochen gewünscht, denn jeder, der etwas auf sich hielt, trug damals diese Schuhe. Ich war meiner Mutter um den Hals gefallen. Sie hatte gerade ihre Arbeit verloren und damals an allen Ecken sparen müssen. Umso mehr freute ich mich über die lang ersehnten Schuhe.
Natürlich zog ich sie gleich an; ich konnte es gar nicht abwarten, sie in der Schule meiner besten Freundin Ina zu zeigen.
Doch entgegen meiner Erwartung freute sich Ina keineswegs mit mir. Wütend starrte sie mich an, bevor sie mir eine schallende Ohrfeige verpasste und mich eine gemeine Diebin nannte. Ich verstand kein Wort.
Wie sich später herausstellte, hatte meine Erzfeindin Jasmin die Schuhe heimlich während der Sportstunde geklaut. Ich war damals wegen einer Knieverletzung vom Sportunterricht befreit gewesen und hatte davon nichts mitbekommen.
Jasmin hatte sich dann meiner Mutter gegenüber als eine Freundin ausgegeben und ihr die Schuhe verkauft, weil sie ihr angeblich zu klein waren. Froh über dieses Schnäppchen hatte meine Mutter sofort zugeschlagen.
Ina hingegen war das egal. Für sie war ich eine gemeine Diebin, und als sie den Schulrektor hinzuzog, der daraufhin die Polizei verständigte, wurde ich im Beisein meiner Mitschüler wie eine Schwerverbrecherin zum Auto abgeführt. Barfuß, denn die freundlichen Polizisten hatten darauf bestanden, dass Ina ihre Schuhe sofort zurück bekam.
Oh, ich hasste Jasmin!
Nachdem ich mich mental damit auseinandergesetzt hatte, dass ich am folgenden Tag freche Rotzgören in ein Theater begleiten würde, um ein Stück zu gucken, das vermutlich sowieso kein Mensch verstand, zog ich mich auf die Terrasse zurück und las meinen Krimi weiter, den ich tags zuvor begonnen hatte. Die Luft roch nach Sommer und in der Sonne ließ es sich gut aushalten. Doch ich konnte mich kaum auf die Lektüre konzentrieren, meine Gedanken schweiften zu Nele und dem morgigen Tag. Hoffentlich entpuppte sich Nele nicht als eine Jasmin. Ich sah mich schon nachts die Straßen abfahren, um hinter dem Bahnhof eine rauchende und Bier trinkende Göre ins Auto zu zerren, die mir wüste Beschimpfungen an den Kopf knallte. Nach einem Glas Kräutertee ebbte meine Nervosität ein wenig ab und ich vertiefte mich wieder ins Buch. Bei Kriminalromanen konnte ich immer am besten abschalten.
Ich steckte gerade mitten in einer Verfolgungsjagd, als die Terrassentür knarrte und ich schreiend vom Stuhl sprang.
»Du musst Lucy sein.« Das blonde Mädchen mit den großen Kulleraugen kam grinsend auf mich zu und hielt mir ihre Hand zur Begrüßung hin. »Ich bin Nele.«
»Nett, dich kennenzulernen, Nele.«
Ihr Blick fiel auf mein Buch, dann rümpfte sie die Nase. »Ich lese ja lieber Fantasy.«
»Sag mal, was ist denn das für ein Theaterstück, das ich mir Morgen angucken muss?«
Sie stellte sich gerade hin und holte tief Luft, bevor sie antwortete.
»Die psychoanalytische Sicht auf Draculas Ödipuskomplex unter Berücksichtigung einer narzistisch-pedantischen Persönlichkeitsstruktur im Wien des neunzehnten
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