Humphrey, ich und Kokolores (German Edition)
damals schon kurz vor der Pensionierung gestanden hatten, war die Gefahr allerdings gering.
Ich versuchte tief durchzuatmen und beobachtete drei Jungs, die laut lachend aus dem Schulgebäude traten. Nele trat einen Schritt zurück und fand auf einmal Interesse an ihren Turnschuhen.
»Auf welchen von den stehst du?«, flüsterte ich und blickte von dem dürren Rothaarigen, zu dem dunkelhäutigen Jungen mit Baseballmütze, der gerade einem blonden Sunnyboy etwas in die Hand drückte.
»Tim. Das ist der Blonde. Er geht in die Parallelklasse.«
»Sieht nett aus.«
»Er weiß leider nur nicht, dass ich existiere.«
Nele kreischte auf, als ihr jemand von hinten gegen den Rücken schlug. »Na, altes Haus!«
»Du sollst das lassen, Paul!«, zischte Nele und funkelte den Jungen an. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Nele, hatte schwarze Locken, die ihm wirr ins Gesicht fielen, und trug Metall im Gesicht. Viel Metall. An den Augenbrauen, der Nase, dem Kinn und den Lippen.
»Hey, wer ist das?« Mich von oben bis unten musternd, ging er einmal um mich herum und stieß dann einen leisen Pfiff aus.
Ich hätte ihm am liebsten eine geklebt, beließ es aber beim theatralischen Seufzen.
Binnen kurzer Zeit hatte sich Neles gesamte Klasse vor dem Gebäude versammelt. Ich blickte in müde, lustlose und genervte Teeniegesichter, die zu wenig Sonnenlicht sahen und zu viele Süßigkeiten aßen.
»Wo bleibt denn euer Lehrer?« Mit einem Stirnrunzeln blickte ich auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor acht Uhr.
»Kokolores ist nie pünktlich.«
»Kokolores?«
»Er heißt eigentlich Herr Kolores. Aber wenn der Tag lang ist, und das ist er meistens, erzählt er ziemlich viel Unsinn, und so haben wir ihn eben Kokolores genannt. Du wirst sehen, der Name passt viel besser zu ihm.«
Um fünf Minuten nach acht tauchte Herr Kolores auf. Er entpuppte sich als ein hochgewachsener Mann Mitte dreißig, mit welligen braunen Haaren und funkelnden blauen Augen. Vom Hals aufwärts sah er fantastisch aus. Aber die Klamotten….
Er trug einen karierten Pullunder über einem weißen Hemd und dazu eine gestreifte Baumwollhose. Mit diesem Outfit hätte er überzeugend Werbung für einen Golfschläger machen können. Der Mann konnte unmöglich verheiratet sein. Keine Frau hätte ihn so aus dem Haus gehen lassen.
Mit einem Lächeln, das schneeweiße Zähne entblößte, kam er auf mich zu und streckte mir die Hand zur Begrüßung hin. »Sie müssen Frau Reuter sein. Kolores, mein Name. Ich bin der Klassenlehrer.«
»Freut mich.« Seine Hände waren eiskalt. Hätte er blassere Haut gehabt, wäre mir eventuell der Gedanke an einen Blutsauger gekommen. Aber Vampir-Romanzen sind out und ich suchte sowieso keine Romanze, schon gar keine mit einem Typen, der einen karierten Pullunder trug. Kokolores passte schon ausgezeichnet zu ihm.
»Dann warten wir nur noch auf Frau Ludwig und es kann losgehen.« Im selben Moment hob er seinen Arm und winkte einer Person auf dem Parkplatz zu.
»Finjas Mutter, na toll!«, flüsterte Nele.
»Wer ist denn Finja überhaupt?«
Nele nickte mit dem Kopf in Richtung der drei Mädchen, die etwas entfernt auf einer Bank saßen. »Die in der Mitte mit den roten Haaren.«
Ich versuchte unauffällig hinüberzugucken, doch in dem Moment sprang sie auf und lief einer Frau entgegen, die gerade vom Parkplatz herüber gestöckelt kam.
Mir fiel die Kinnlade herunter.
»Ihre Mutter«, sagte Nele und blickte zu der dürren Schwarzhaarigen in dem weißen Sommerkleidchen und den Stöckelschuhen.
Jasmin hatte sich kaum verändert. Wie früher hatte sie ihre langen schwarzen Haare mit einem roten Band zusammengebunden. Sie war immer noch gertenschlank und stöckelte auf High Heels durch die Gegend, als befände sie sich auf einer Modenschau.
»Das darf doch nicht wahr sein!« Fieberhaft suchte ich nach einer Möglichkeit, mich zu verdrücken. Schlimm genug, dass ich mit einer Horde Pubertierender ins Theater gehen musste. Aber mit Jasmin zusammen, das ging nun wirklich nicht! In Gedanken drehte ich meiner Mutter den Hals um. Hatte sie das etwa gewusst?
Wie konnte ich mich nun am besten aus der Affaire ziehen?
Ich konnte etwas von plötzlichen Magen-Darm-Beschwerden faseln, mich krümmend zur Toilette begeben und warten, bis die Horde abgedampft war. Aber halt, ohne eine dritte Erwachsene, durfte der Theaterbesuch ja gar nicht stattfinden. Mist!
Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, als Kokolores uns beide
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