Hundediebe kennen keine Gnade
oberflächlich. In der
Tiefe seines Gemüts bewegten ihn trübe Gedanken. Vor allem grämte ihn, daß die
Gastlichkeit unter den Menschen nachließ. Weder der alte Haudegan noch die
junge Andrea hatten Bewirtung angeleiert — als wären Hilfeleistung und
Mitgefühl was, in das man reinbeißen könnte.
Das soll einen nun anpowern (ansporen), dachte er. Und legte seinen Knüppel auf den Boden, denn bis zur Klopperei war
ja noch Zeit. Wo sich seine Freunde befanden, wußte Klößchen genau.
Tarzan versteckte sich schräg-links
gegenüber, auf der anderen Seite des Plätzchens, nämlich hinter zwei
Ziersträuchern, die ihre Zweige umeinander legten, als wollten sie sich
gegenseitig vor den kühlen Herbstnächten schützen. Es handelte sich, soweit
Klößchen das botanisch bestimmen konnte, um Ahorn und Blaupflaume. Was den
Ahorn betraf, war er sich sicher.
Karl verbarg sich links des Pavillons
hinter einem Latschenkiefern-Verhau. Schon zum zweiten Mal erschallte sein
Husten. Hoffentlich hatte er sich nicht erkältet.
Klößchen sah auf die Uhr, spähte durch
die Zweige zum Platz, wartete und begann, sich zu langweilen.
Niemand kam. Der Nebeltag lockte keine
Menschenseele in den Park. Wer nicht den sonntäglichen Gottesdienst wahrnahm,
saß vermutlich beim Frühschoppen — oder was man sonst so erledigt am letzten
Sonntag im Oktober.
Wenn sie auch Lady geschlagen haben,
Klößchen dachte nach über die Hundediebe, dann lynchen wir sie. Dann nageln wir
sie mit den Ohren an die Parkbäume.
Er gähnte. Nach einer Weile setzte er
sich auf den Boden. Ein Baumstumpf diente als Hocker. Der Rasen war hier
übersät mit Kieselsteinen. Kleinkinder hatten die gestreut — vielleicht weil
sie testen wollten, wie sich dann der elektrische Rasenmäher der Stadtgärtner
verhält.
Klößchen nahm ein Steinchen und warf es
gebüscheinwärts ins Nichts.
Piiing!
Er hatte einen Papierkorb getroffen,
den er aber nicht sehen konnte. Wie interessant! Ob das abermals glückte? Jetzt
flog Steinchen auf Steinchen. Es pingte kein zweites Mal, aber beim elften Wurf
— etwa — grollte ein dumpfer Laut, als erschrecke ein Löwe.
Klößchen erstarrte. Im nächsten Moment
kam der Hund hinter dem Busch hervor. Er sah Klößchen, verharrte und fletschte
die Zähne, wobei er die Lefzen zurückzog. Dann setzte er sich in Bewegung,
zielstrebig.
Klößchen hatte keine Ahnung, wie sich
diese Hunderasse nennt. Aber ein vierbeiniger Riese wie dieser war ihm noch
nicht unter die Augen gekommen. Der Rüde war silbergrau und wog sicherlich
anderthalb Zentner. Das Gesicht war schwarz, als trage der Hund eine Maske, der
Viereck-Schädel gewaltig.
Den habe ich getroffen, schoß es
Klößchen durch den Kopf, und er weiß es.
Wie ein Sponti (Plötzlicher) sauste Klößchen querbeet über Rasen und Kieselsteine, überwand die endlose
Strecke von viereinhalb Metern und hechtete in den bekletterungs-fähigen
Rotbuchenstamm mit geballter Sprungkraft. Er hopste zwar so wie ein
Medizinball, wenn man ihn fallen läßt, erwischte aber einen Ast, einen zweiten
mit den Füßen — und sein Glück war, daß sich die Äste wie Leitersprossen anboten.
Klößchen bäumte auf wie ein Irrwisch. In drei Meter Höhe klammerte er sich
fest.
Dumpf grollend umsprang der Mastiff (englischer
Kampfhund) den Baum.
„Hilfe!“ rief Klößchen. „Die Bestie
will mich fressen.“
„Was ist los?“ rief Tarzan von jenseits
des Platzes.
„Hier ist ein Ungeheuer! Ein Vieh! Es
bedroht mich.“
„Ich komme.“
„Ich auch“, ließ sich Karl vernehmen.
Klößchen blickte auf den Hund hinunter.
Dessen Zorn war verraucht. Er saß jetzt und beobachtete die dicke Kakao-Bohne
in den Zweigen. Dabei legte er den Kopf schief und die Schlappohren nach
hinten. Sein Halsband war fast so breit wie der lederne Nierenschutz für
Motorradfahrer.
„Woootan!“ erscholl eine Männerstimme.
Ein Pfiff gellte, und der Mastiff pfotete los in die Richtung, aus der er
gekommen war.
„Heh!“ rief Klößchen. „Sie! Herr
Hundebesitzer! So einen Büffel dürfen Sie aber nicht frei rumlaufen lassen. Ich
wäre beinahe sein Frühstück geworden.“
Tarzan und Karl trafen unter der Buche
ein.
„Komm runter!“ sagte Tarzan. „Hier ist
nirgendwo ein Hund.“
Aber Klößchen wußte es besser. Aus
seiner erhöhten Position überblickte er die Büsche. Trotzdem kletterte er Ast
um Ast abwärts. Hatte er doch gesehen, daß Wotans Herrchen den Vierbeiner an
die Leine nahm.
Jetzt kamen Herr und
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