Hundeelend
dann zu Fuß quer über den Parkplatz. Das Roselawn-Krematorium war in einem großen roten Ziegelbau mit hohem Schornstein untergebracht. Rechts vor dem Haupteingang standen ein paar Männer zusammen, die rauchten und sich leise unterhielten; ganz offensichtlich fühlten sie sich in ihren Anzügen und Krawatten unbehaglich und zwei von ihnen hatten weiße Farbspritzer im Haar. Gleich hinter dem Eingangsportal des Krematoriums verkündete ein
Schild: Internetzugang möglich . Das war für Verwandte gedacht, die nicht anwesend sein konnten und den Gottesdienst online mitverfolgen wollten.
Die Stühle waren in Rosatönen gehalten, ebenso der Teppich. Pat saß in der ersten Reihe und wurde von zwei Frauen getröstet, vermutlich ihre Mutter und ihre Schwester. In der gleichen Reihe, drei Stühle weiter, entdeckte ich ein älteres Ehepaar. Sie hatten keine Familienähnlichkeit mit Pat. Also Jimbos Eltern. Dann waren da rund ein Dutzend weitere mir unbekannte Männer und Frauen sowie zwei Kinder. Fünf Reihen dahinter thronte der Polizeichef, von drei Beamten flankiert, alle in Dienstuniform. Er saß aufrecht, die Schultern nach hinten gestrafft, mit der Dienstmütze in der Hand. Außerdem war da Smally mit seinen beiden Skinheads, in der gleichen Reihe wie der Polizeipräsident, aber auf der anderen Seite des Mittelgangs. Greg hatte einen Platz in der hintersten Reihe eingenommen, damit er uns im Auge behalten konnte. Zwei Reihen vor ihm saßen zwei dezent gekleidete Herren, die sich immer wieder über die Schultern nach ihm umsahen, sowie eine Frau, die wir trotz veränderter Frisur und adretten Kleidern als die angebliche Mutter Michael Gordons identifizierten. Ganz hinten an der Wand lehnte Inspektor Robinson und wippte auf den Zehenballen. Rechts von uns – wir nahmen nun unsere viel zu auffälligen Plätze links von der Mitte ein – hockte ein Dutzend weiterer mit Farbe besprenkelter Maler und Lackierer in diversen Beerdigungskostümvarianten: schwarze Krawatten mit dicken Knoten, Sakkos mit breiten Aufschlägen, Schuhe, die am Morgen frisch geputzt
worden waren, vermutlich zum ersten Mal seit der letzten Beerdigung. Erneut öffnete sich das Portal, und Billy Randall trat ein, das spärliche Haar elegant auf eine Seite gekämmt und in einem noblen schwarzen Anzug, der seine korpulente Figur kaschieren sollte. Sein muskulöser Assistent Charlie begleitete ihn, ebenfalls in schwarzem Anzug, der bei ihm zwar etwas billiger, dafür aber umso härter wirkte. Jimbo befand sich bereits an Ort und Stelle auf dem Podium, wo er auf versöhnliche Worte und Hymnen wartete, bevor er in den Ofen hinabgesenkt werden würde, um dort bei neunhundertachtzig Grad Celsius verbrannt zu werden. Flammen, Hitze und Luftzufuhr würden ihn auf die elementaren menschlichen Grundbestandteile reduzieren. Keine Asche, sondern trockene Knochenfragmente, die anschließend zu einem feinen, sandartigen Pulver vermahlen wurden, das sich leicht verstreuen ließ.
Der Priester, Reverend Delargey, war ältlich und abgemagert. Seine sackartig herabhängenden Wangen deuteten auf ehemaliges Übergewicht hin, das in einer Radikalkur abgehungert worden war. Seine Mundwinkel zeigten nach unten und seine lange Nase stach spitz hervor. Die Tränensäcke unter seinen Augen glichen alten Teebeuteln. Vor hundert Jahren hätte er sicher eine gut bezahlte Anstellung als Totenkläger gefunden, jemand, der einfach nur in der Gegend herumstand und mit seinem traurigen, lächerlichen Gesicht allen Menschen Mitleid einflößte. Zu seiner Unterstützung hätte er gut ein weibliches Pendant gebrauchen können, ein Klageweib, das heulte, jammerte, sich die Kleider zerriss und das Gesicht
zerkratzte, um die andern zum Trauern zu ermuntern, denn tatsächlich wirkte diese Versammlung hier merkwürdig gefühllos. Die Hälfte von uns war wegen des Jacks gekommen, oder aus anderen beruflichen Gründen, und nicht, um den armen verflossenen Jimbo zu betrauern. Doch selbst die, die ihn gekannt und geliebt hatten, schienen um Tränen verlegen. Vielleicht hatten sie sich bereits gründlich ausgeheult – doch sein grausamer Tod, seine relative Jugend, seine bevorstehende Vaterschaft, ja selbst die verzögerte Herausgabe seines Leichnams durch die Polizei, jeder dieser Umstände für sich genommen hätte einen nach dem Taschentuch greifen lassen können. Aber nein, alle waren ruhig, zurückhaltend, respektvoll – und ganz sicher nicht von Emotionen überwältigt.
Es erinnerte
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