Hundeelend
mich an die Beerdigung meines Vaters. Und an die Nachrufe und Trauerreden. Wie Mutter bei jedem lobenden Wort »völliger Quatsch«, »Blödsinn«, »Heuchler« gezischt hatte.
Reverend Delargey empfing das bestätigende Nicken eines Angestellten des Krematoriums, der hier wie eine Art Linienrichter des Unparteiischen fungierte, und die Veranstaltung konnte beginnen. Er begrüßte die Trauergemeinde. Dann streifte er die tragischen Umstände, die uns alle zusammengeführt hatten, obwohl es heute nicht unsere Aufgabe sei, über die allzu rasch aufflammende Bereitschaft des Menschen zur Gewalt nachzudenken, sondern das Leben eines Einzelnen zu feiern, James Collins, geliebter Sohn und Verlobter, der schon bald Vater geworden wäre.
»Jimbo«, sagte er, »war ein bodenständiger Mensch. Er liebte Pat, er liebte seine Eltern, und er liebte seinen besten Freund Ronny, dessen Abschied wir in wenigen Tagen feiern.«
Da ich mich intensiv auf das Personenstudium konzentrieren musste, zahlreiche Beweise auszuwerten hatte und sich in mir gleichzeitig alles gegen meine Anwesenheit auf einer Beerdigung sträubte, fragte ich mich, ob es wohl unhöflich wäre, als eine Art Gedankenstütze ein Twix zu öffnen. Es befand sich in meiner Tasche. Natürlich würde ich dabei ausgesprochen leise und subtil vorgehen. Zudem konnte ich auf ein lebenslanges Studium der Geschichte von Twix verweisen. Es wurde 1967 erfunden. Bis heute hat es mehr als dreißig verschiedene Varianten auf der ganzen Welt gegeben. 2008 gab es eine limitierte Auflage des Twix-Cappuccino-Riegels, die nur in Polen erhältlich war. Ich besitze ein Exemplar davon. Ich habe es auf eBay erstanden. Als es mit der Post eintraf, war die Verpackung aufgerissen und jemand hatte offensichtlich ein Stück abgebissen. War der Täter der Verkäufer oder der Briefträger? Ich beschwerte mich über beide. Bei eBay und bei der Post. Daraufhin kam meine Post längere Zeit mit deutlicher Verspätung, während ich von dem Verkäufer nie wieder etwas hörte. Er stammte nicht mal aus Polen. Es war ein weiterer Twix-Sammler. Aus Nuneaton.
»Hast du die Lösung?«, fragte Alison.
Ich musste mich dringend am Riemen reißen. Wir erhoben uns für ein Lied. Wir setzten uns wieder. Reverend Delargey hielt seine Predigt. Er war wohl so etwas wie ein
Presbyterianer, denn eigentlich teilte er uns in nette Worte verpackt mit, dass wir irgendwann alle in der Hölle schmoren würden. Abgesehen von Jimbo natürlich. Er erzählte uns allerlei über den Verblichenen; Dinge, die ich schon wusste und unter »unwichtig« abspeicherte. Sie würden ein kleines Mädchen bekommen und hatten beschlossen, es Britney-Christina zu nennen. Jimbo und Ronny hatten in der gleichen Darts-Mannschaft gespielt. Obwohl er in einer rauen Gegend aufgewachsen war, hatte Jimbo nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, was ihn offensichtlich zum Anwärter für die Seligsprechung machte.
Nachdem der Reverend kurz zu Pat hinabgenickt hatte, trat sie mit einem zerknitterten Zettel ans Mikrofon und begann, aus Desiderata zu lesen. Ihre Stimme bebte und ihre Hände zitterten.
»Gehe ruhig und gelassen durch Lärm und Hast, und sei des Friedens eingedenk, den die Stille bergen kann.«
Ich schaute mich unter den Trauernden um und entdeckte zwei, die immerhin den Tränen nahe waren. Alison direkt neben mir, die nach meiner tröstenden Hand tastete. Und ganz hinten Inspektor Robinson, der immer noch wippte, aber glasige Augen hatte. Sie hatten sich beide von diesem furchtbaren Kitsch einlullen lassen. Es war ein abstoßendes und auf billige Effekte hin kalkuliertes Gedicht. Ich hatte sogar die vertonte Fassung von Les Crane zu Hause. Sie war genauso furchtbar. Ich hatte sie lediglich gekauft, um eine Reihe von Alben-Seriennummern zu vervollständigen. Irgendwann näherte sich Pats Heruntergeleiere dem Ende.
»Trotz all ihrem Schein, der Plackerei und den zerbrochenen Träumen ist diese Welt doch wunderschön. Sei vorsichtig, strebe danach, glücklich zu sein.«
Ein Vertreter der Maler und Lackierer trat nach vorne und trug einen nervösen, stockenden Nachruf vor. Darin führte er aus, Michelangelo sei sich nicht zu schade gewesen, die Sixtinische Kappelle zu bemalen, ebenso wie Jimbo sich nie zu schade war, Hauswände zu streichen und vielleicht auch noch die Regenrinne. Er war berühmt für die Schnelligkeit und Qualität seiner Arbeit gewesen. Jimbo, nicht Michelangelo, der ein berüchtigter Faulpelz war. Dafür erntete
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