Hundejäger töten leise
Wußte
Melanie doch, daß Gunter Rehm bei Helga Conradi in festen Händen war. Das
hinderte sie, Melanie, freilich nicht daran, ihn zu bewundern und von ihm zu
träumen. Gunter behandelte sie freundlich, hielt aber Distanz.
„Hallo, Locke! Sieht man dich
mal wieder?“ freute sich Melanie.
„Tag, Frau Frühauf. Oh, ist das
eine schicke Bluse!“
„Habe ich mir selbst genäht.“
„Nicht zu glauben! Sieht aus
wie ein Modell aus der teuersten Boutique. Ist wer bei Papi drin?“
Die Tür zu Rehms Redaktionsbüro
war geschlossen.
„Dr. Schüler. Aber ich glaube,
es dauert nicht lange.“
Im selben Moment öffnete sich
die Tür, und Dr. Schüler — ein zwergiger Mann mit wallendem Haar — kam heraus.
Er war der dienstälteste Redakteur und erzählte stets und ständig, daß
Journalisten in seiner Jugend viel härter gearbeitet hätten. Mittlerweile — er
ging auf die siebzig — nahm ihn niemand mehr ernst. Von ihm wurde behauptet,
daß er einen seiner Querbinder, die sogenannte Fliege, auch im Bett trage.
Jedenfalls hatte man ihn noch nie ohne gesehen.
Indem er sich tief verbeugte,
begrüßte er Locke mit einem Handkuß. „Welche Freude, daß uns allerschönste
Prinzessin beehren.“
„Diese Huld, lieber Doktor,
gewähre ich nur der Lokalredaktion.“
Sie hörte, wie ihr Vater im
Nebenraum lachte.
Dr. Schüler verschwand unter
ständigen Verbeugungen.
„Ihr Diener, Prinzessin.
Verfügen Sie über mich. Was auch immer Sie benötigen.“
„Ich werde mich Ihrer erinnern,
edler Ritter.“
Der edle Ritter lächelte
verschmitzt, ehe er die Tür von außen schloß. Locke ging zu ihrem Vater hinein
und rieb ihre Nase an seiner Wange.
Sein Schreibtisch war mit
Manuskripten (der verfaßte, aber noch ungedruckte Text) übersät.
„Na, Töchterchen?“ Er lächelte.
„Willst du mal kontrollieren, ob ich auch fleißig bin. Oder brauchst du Geld?“
„Daß hier nicht gearbeitet
wird, weiß ich doch längst. Und Geld — ph! Was ich haben will, klaue ich mir.“
„Haben Sie das gehört,
Frühauf?“ rief er.
„Sie wird bestimmt mal eine
gute Journalistin“, antwortete die Sekretärin.
„Meine beruflichen Interessen“,
schwindelte Locke, „sind aber ganz anders gelagert. Ich schwanke noch zwischen
Wahrsagerin, Eisbärdompteuse (Dompteuse = Tierbändigern) und
Schrankenwärterin bei der Bahn.“
„Und sowas besucht das
Goethe-Gymnasium“, seufzte Rehm.
Lachend nahm Locke ihren Hut
ab. Sie setzte sich in den einzigen und ziemlich verschlissenen Clubsessel und
hängte die Beine über die Lehne.
„Papi, ich brauche deine
Hilfe.“
„Also doch, ich höre.“
„Du hast bestimmt eine Liste
mit den Tierdiebstählen der... sagen wir: letzten zwei Monate.“
„Hm. Könnte sein. Wozu?“
„Tom und ich wollen die Augen
offen halten. Vielleicht begegnet uns irgendwo ein gestohlener Vierbeiner.“
„Und sonst habt ihr nichts
vor?“
„Vielleicht doch. Ehrenwort,
daß du’s dann als erster erfährst. Vielleicht wird’s eine brandheiße Meldung
für den Lokalteil.“
„Oh weh!“
„Was wollt ihr denn anzetteln?“
rief Melanie aus dem Vorzimmer.
„Ist noch streng geheim“, sagte
Locke. „Jedenfalls brauche ich eine Liste, aus der hervorgeht, was für ein Tier
gestohlen wurde und wer der Besitzer ist.“
„Also gut!“ nickte Rehm.
Während der nächsten
Viertelstunde studierte Locke eine erschreckend lange Liste.
Zwei Anschriften notierte sie
sich: die einer Senta Lehmann, Übersetzerin; und eines H. H. Alderich Finke.
Beiden hatte man Hunde gestohlen: einen halbjährigen Dalmatiner-Bullterrier
Mischling und einen Mischling aus Chow-Chow und Pinscher.
Solche Kunterbunt-Vierbeiner
sind leicht wiederzuerkennen, dachte Locke, während sie den Zettel in ihre
Tasche schob.
9.
Verfolgung durch den Park
Als Locke bei Tom ankam, war ihr
Freund nicht zu Hause.
„Aber er muß gleich wieder
kommen“, tröstete Mit-Ha. „Ist schon seit einer Stunde mit Nicki spazieren.“
Locke setzte sich in den
Garten, brauchte aber nur kurze Zeit zu warten. Tom trabte die Straße herunter,
Nicki an langer Leine neben ihm her. Der Hund trug einen Teil der Leine im Maul
und es war durchaus nicht klar, wer hier wen führte.
Tom war erhitzt. Die Arme
zeigten ein Ornament (Muster) zarter Kratzspuren.
„Ich kann’s ihm nicht
abgewöhnen“, seufzte er. „Wenn er mir zeigen will, wie sehr er mich mag,
schnappt er sich einen meiner Unterarme und kaut liebevoll darauf rum.“
Locke kicherte,
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