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Hundeleben

Titel: Hundeleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Zander
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Positiv. Für die Entfernung, die mich vom Lauf der Waffe trennte, spielte diese Eigenschaft allerdings keine Rolle. Negativ. Außerdem hat eine Makarow acht Schuss zur Verfügung, die neuere Version sogar zwölf. Die Gefahr war also erheblich, dass einer dieser Schüsse auch treffen würde.
    »Oberst Meyerheim, Sie haben gewonnen …«
    Ich machte ihm die Freude einer nachträglichen Beförderung. Vielleicht war er ja für solche Dinge empfänglich.
    »Major, nicht Oberst! Die Schleimtour zieht bei mir nicht.«
    Na schön. Ich hatte alles versucht. Jetzt war ich gespannt, wie es weitergehen würde.
    »Ich bin neugierig, wie es weitergeht, Herr Meyerheim. Das ist eine sogenannte Pattsituation. Schach. Sie verstehen. Sie können mich natürlich erschießen. Aber das wäre doch etwas unangemessen. Vielleicht halten Sie den Double-Action-Rückstoßlader besser in eine andere Richtung. Er könnte aus Versehen losgehen. Das wäre auch für Frau Keller eine Katastrophe, weil ich …«
    »Setzen! Klappe halten!« Ich setzte mich. Der Lauf der Makarow befand sich jetzt in Höhe meiner Augen. Das kleine schwarze Loch starrte mich aggressiv an. Unangenehm. Ich wandte die Augen ab und schaute Meyerheim voll ins Gesicht. Was war das? Meyerheim hielt die Augen geschlossen. Dachte er nach? Schlief er? Plante er die nächsten Schritte? Gab er auf?
    Ich rückte vorsichtig aus der Schusslinie. Meyerheim reagierte nicht. Vielleicht trauerte er der Mauer nach oder seinem Dienstgrundstück am Heiligen See, Nähe Glienicker Brücke, vielleicht auch nur seiner Anfang der Neunziger abrupt abgebrochenen Karriere. Egal. Ich stand auf und ging vorsichtig um den Tisch herum. Nichts. Ich griff nach der Makarow . Er gab sie her, einfach so.
    »Brav, Herr Meyerheim.«
    »Rheuma. Anfall. Schmerzen. Meine Tabletten, da …«
    Er zeigte in irgendeine Richtung. Na und.
    »Hallo! Wer hat sich denn da überschätzt?« Ich war jetzt oben, er unten. So gefiel mir das. Ich sonnte mich im unverhofften Wechsel der Situation. Niemand konnte mir das verübeln. Ich hatte einem Ex-Offizier in die Augen und seiner Makarow in den Lauf geschaut. Nicht gerade das, was man sich am Morgen wünscht, wenn man aufwacht und den Tag mit einem Fünfminutenei begrüßt.
    Ich schaute mir das Magazin der Pistole an. Voll. Meyerheim hatte keinen Spaß gemacht. Auch ich wurde ernst.
    Ich griff in seine Jackentasche und holte den Schlüssel hervor. »Haben Sie ein Telefon?« Er antwortete nicht. Ich ging in den Flur, von dort in ein zweites Zimmer. Er hatte nicht nur ein Telefon, er hatte sogar sechs, darunter zwei rote. Ich griff mir ein rotes. Kein Freizeichen. Ich wollte eben zum nächsten Hörer greifen, da hörte ich diese Stimme: »Hier Sichel fünf, Sichel fünf. Ich höre.« Die Stimme kam eindeutig aus dem Telefon.
    »Wer da?«, fragte ich verblüfft.
    »Kennwort bitte!«
    »Kennwort? Was für ein Kennwort?«
    »Das Kennwort!«
    »Rheuma?«
    Die Gegenseite gab auf. War ich im falschen Film? Ich knallte den Hörer auf die Gabel. Mit dem nächsten Telefon hatte ich mehr Glück. Ich kam durch bis zur Rettungsstelle und bat um einen Hausbesuch. Dann rief ich eine teure Nummer an und ließ den Hörer neben dem Apparat liegen. Der Hörer stöhnte laut und wild. »Komm schon, komm, kommmm !«
    Als ich ging, sagte Meyerheim nicht mal danke. Kein Problem. Ich schaute auf die Uhr, 15.03 Uhr. Ich hatte 30 Minuten meines Lebens vertan. Ziemlich sinnlos dazu. Das war ein Problem.

10
    Ich knallte die Wohnungstür zu, von außen, und ließ den Schlüssel stecken. Es war mir egal, wer nach mir kommen würde, der ärztliche Notdienst, die Altenpflegerkolonne, der Psychiater oder der Totengräber. Im Stillen hoffte ich, seine eingebildeten Feinde würden sich materialisieren und die Wohnung stürmen. Am besten gleich und alle auf einmal.
    Ich drückte bei Keller auf die Klingel. Nichts. Hinter der Tür blieb es still. Unten schaute ich mir den Briefkasten an. Leer. Immerhin. Ich versenkte eine Nachricht: ›Bitte umgehend melden, Siegfried Gass ‹, und verließ das Haus.
    Es gab jetzt zwei Möglichkeiten: Feierabend machen oder weiterarbeiten. Ich entschied mich fürs Weitermachen. Ich hatte zwei Tage am Stück verpennt. Ich hatte drei Fälle und ich tappte im Dunkeln. Ich musste ran. Schließlich arbeitete ich nicht im öffentlichen Dienst. Die Frage war, womit sollte ich weitermachen? Die Keller war nicht da, die Kinogeschichte hatte Zeit, blieb also nur die Stalking-Geschichte .

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