Hundeleben
Noch gab es keinen Vertrag, noch konnte ich keine Rechnungen stellen. Ich wusste nicht mal, ob ich noch im Geschäft war. Ich machte mich trotzdem auf den Weg.
Ein paar Kleinigkeiten hatte mir Brand bereits mitgeteilt. Sein Schatten hieß Anne Klein und jobbte als Buchverkäuferin bei Wolf, einem Typen, dem ein Buchladen in der Brandenburger Straße gehörte. Beste Lage, viele Kunden, einige Käufer. 1990 nutzte Wolf die Gunst der Wendestunden und etablierte eine Buchhandlung in Potsdams Einkaufsmeile. Die ostdeutschen Gründertage gingen vorüber. Die Buchhandlung blieb. Es gab sie noch, wenn auch mit kleinerem Sortiment und beständig von Pleite, Insolvenz und anderen Zivilisationskrankheiten bedroht. Wolf hatte den geschäftlichen Ausstieg seines Kompagnons, eine vorübergehende Schließung, steigende Buchpreise, den zunehmenden Geiz der Leute und tausend andere Widrigkeiten überlebt. Glück für Potsdam.
Anne war 26, etwa 1,70 Meter groß, schlank und blond, jedenfalls laut Brand. Sie hatte einen Studienplatz im Fach Sozialpädagogik belegt, was immer das auch sein mochte, und war bis in die Tiefen des dritten Semesters vorgestoßen. Dann stellte sie fest, dass es zwar reichlich Arbeit in sozialer Richtung gab, diese aber entweder gar nicht oder nur miserabel bezahlt wurde. Sie begann, sich nach einem Job umzusehen. Mit Büchern zu handeln, erschien ihr genau das Richtige. Bei Wolf wurde sie schließlich fündig.
Irgendwann, so hatte sie Brand auf jener Party anvertraut, wolle sie sich selbständig machen. Aber dieses Irgendwann lag in einer fernen Zukunft, wie es bei Menschen, die nicht genau wissen, was mit ihnen und ihrem Wollen los ist, häufig der Fall ist.
Eines schien ihr jedoch völlig klar zu sein. Sie wollte Alexander Brand, ob der wollte oder nicht. So kam es zu dem bestehenden Interessenkonflikt.
Ich will hier keine privatdetektivischen Binsenweisheiten loswerden. Ich will nur sagen, dass es erfahrungsgemäß mehrere Möglichkeiten gibt, Konflikte dieser Art beizulegen. Man kann sich die Köpfe einschlagen, passiert ziemlich häufig, man kann aber auch die Köpfe bzw. die Gehirne nutzen, um sie sich nicht einschlagen zu müssen. Aus rein pazifistischen Erwägungen war ich für Variante zwei. Bei Brand und Klein war der Interessenkonflikt klar definiert, nur seine Wirkung auf die Köpfe der Beteiligten war noch nicht entschieden. Ich war da, um ein Gemetzel zu verhindern.
Ich schritt vom Luisenplatz kommend durch das Brandenburger Tor. Ja, auch Potsdam hat ein Brandenburger Tor. Es ist kleiner, gelber und trutziger als das graue Berliner Gemäuer. Es trennt die Innenstadt von der Westvorstadt und stellt eine Herausforderung für jeden hormongeplagten Nachwuchssprayer dar. Hinter dem Tor beginnt die Brandenburger Straße, der sogenannte Boulevard.
Ich lief jetzt die Brandenburger Straße entlang. Links und rechts standen die Häuser der zweiten Barocken Stadterweiterung Spalier. Die Läden und Cafés in den Häusern milderten das strenge preußische Ambiente, mehr aber auch nicht. Hinten erhob sich das katholische Großraumbüro von Petrus und Paulus.
Die Tür zum Buchladen stand offen. Ich trat ein. Niemand war da, kein Kunde, kein Verkäufer, kein Vertreter. Rechts vom Eingang befand sich die Kasse. Die restlichen 30 Quadratmeter wurden von Büchern beherrscht. Wovon sonst. Im hinteren Teil des Ladens führte eine Wendeltreppe in den im zweiten Stock gelegenen Veranstaltungsraum hinauf.
Ich geriet in Versuchung und griff mir Célines ›Reise ans Ende der Nacht‹. Nach kurzem Zögern stellte ich das Buch wieder zurück. Der Klappentext klang nach einer Anhäufung von Depressionen. Besser nicht. Ich brauchte einen klaren Kopf.
Vielleicht sollte ich lieber einen Pessoa oder einen Kinkster mitgehen lassen? Zu spät. Jemand kam die Treppe herunter. Zuerst wurden die Beine sichtbar, sie steckten in einer engen Jeans, dann kam der freie Bauch inklusive gepierctem Nabel und schließlich der ganze Rest. Ich hielt den Atem an. Beine und Rest passten bestens zusammen. Erleichtert nahm ich die Farbe des Haares wahr. Schwarz.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Sie trat auf mich zu und schaute auf die Bücher in meinen Händen.
»Oh. Pessoa und Friedman. Das ist wie Spagat auf einem Schwebebalken wagen. Ihnen ist sicher bekannt, dass Pessoa Alkoholiker war?«
Sie kam rasch zum Wesentlichen. Nicht schlecht. Natürlich hatte ich nichts von Pessoas Vorlieben gewusst. Und es interessierte mich auch nicht allzu
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