Hundeleben
Ausstattung des Zimmers doch. Das Zimmer beherbergte bis auf vier Stühle und einen Tisch keinerlei Mobiliar. Dafür waren die Wände mit Alufolie tapeziert. Vor den Fenstern hingen lange Streifen der Folie herab und tanzten im Luftzug hin und her. Herr Meyerheim, ich hatte den Namen auf dem Türschild gelesen, gehörte eindeutig zu jenen Menschen, die normalen Menschen einen gewissen Respekt einflößen.
»Hübsch haben Sies hier! Sehr hübsch.« Irgendwo hatte ich gelesen, dass das Eingehen auf die Eigenheiten eines schwierigen Menschen Problemsituationen von vornherein entschärfen kann. Bei Meyerheim schien das anders zu laufen.
»Sind Sie verrückt!?«, fuhr er mich an. »Was soll an dieser Bude hübsch sein? Setzen!«
Ich nahm Platz. Er setzte sich mir gegenüber. Ich dachte an Flucht. Die Wohnung lag im dritten Stock, die Wohnungstür war abgeschlossen. Meyerheim hatte den Schlüssel. Ich konzentrierte mich auf Meyerheim.
»Ich meine, es ist so funktional.«
»Funktional? Es ist abhör- und strahlungssicher. Was sind Sie für einer?« Er lachte. Das Lachen klang sogar lustig. Positiv. Ich hatte in solchen Situationen schon ganz andere Lachvarianten gehört. Eisige zum Beispiel.
»Ich bin Detektiv und …« Das Lachen brach abrupt ab.
» Gibts doch gar nicht im Osten. Ham wir für gesorgt …«
»… und ich bin wegen Frau Keller hier.«
»Wer hat Sie geschickt?«
Irgendetwas lief falsch. Ich war gekommen, um Fragen zu stellen. Stattdessen wurden mir Fragen gestellt. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Ganz klar, ich musste die Initiative ergreifen.
»Ich bin gekommen, um Ihnen Fragen zu stellen und nicht umgekehrt.«
»Daraus wird wohl nichts, Sie Sozialschmarotzer. Was hat Ihnen die arme Frau getan? Warum müssen Sie und Ihresgleichen sie laufend quälen?«
»Herr Meyerheim …«
»Major Meyerheim!«
»Major …?«
»Ich könnte jetzt Oberst sein, wenn solche Subjekte wie Sie nicht alles kaputt gemacht hätten.«
Er gehörte in eine Anstalt. Vielleicht sogar in den Knast. Leider war er nicht dort, wo er hingehörte. Er war frei und wahrscheinlich sogar wahlberechtigt. Wie viele seiner Kollegen auch. Und er war sauer auf mich. Sollte er doch. Ich wurde auch langsam sauer. Und zwar auf ihn. Ich stand auf.
»Herr Meyerheim. Ich bin hier, um Frau Keller zu helfen. Wenn Sie mich jetzt nicht sofort rauslassen, rufe ich die Polizei.«
»Rufen Sie, bitte.«
Es hatte keinen Sinn, ich musste handgreiflich werden. Natürlich widerstrebte es mir, einen 70-jährigen Mann niederzuschlagen. Aber wenn ich mir vorstellte, er wäre Oberst irgendeiner militanten Spezialeinheit namens NVA, würde es schon gehen. Ich nahm einen Stuhl und warf ihn gegen die Wand. Der Stuhl brach auseinander. Ich langte nach einem Stück Rückenlehne.
»Den Schlüssel!«
Meyerheim reagierte prompt. Na bitte, resolutes Auftreten, klare kurze Forderungen im Befehlston, das war die Sprache, die er verstand. Er griff augenblicklich in die Jackentasche.
»Sie machen da einen entscheidenden Fehler«, näselte er.
»Und welchen?«, fragte ich.
»Sie überschätzen sich.«
»Den Schlüssel!«, wiederholte ich. Er zog die Hand aus der Tasche, ohne Schlüssel, dafür mit einer entsicherten Makarow . Bravo! Er hat mich gelinkt. Traue niemals alten Männern. Schon gar nicht, wenn sie dauerfrustriert, größenwahnsinnig und durchgeknallt sind. Sie hassen alles und jeden. Und sie verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie diese überhaupt je verstanden haben. Vor allem verstehen sie keine Argumente, die sie nicht verstehen wollen.
Ich ließ das Stück Hartholz langsam zu Boden fallen und hob noch langsamer die Arme. Nur die Ruhe, dachte ich. Das kann alles nicht wahr sein. Das ist nur ein Traum, der irgendwann vorbei sein muss. Diese Situation kann gar nicht real sein, weil es solche Menschen wie Meyerheim in Wirklichkeit nicht gibt. Sie sind Ausgeburten kranker Hirne. Nichts weiter. Sie existieren nur in der Vorstellung. Und da sie nicht real existieren, können sie auch nicht schießen, denn nur der kann den Finger am Abzug auch krümmen, der einen Finger besitzt. Vorstellungen haben keinen Zeigefinger, der sich krümmen lässt. Schöner Monolog, dachte ich weiter. Die Szenerie vor meinen Augen änderte sich nicht. Meyerheim stand immer noch mitten in seinem abhörsicheren Zimmer, die Makarow in der rechten Hand, den Finger am Abzug, die Mündung auf meinen Bauch gerichtet. Die Makarow ist eine Pistole, die nicht besonders genau schießt.
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