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Hundeleben

Titel: Hundeleben
Autoren: Wolfgang Zander
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sehr, ob er als Alkoholiker gelten durfte. Sollten die Leute doch sein, was sie wollten. Vor allem bei Schriftstellern war es mir egal. Die einen soffen sich tot, die anderen wurden überfahren. Wo war da der Unterschied? Oder waren trinkende Autoren die besseren Schriftsteller? Möglich. Aber nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlich waren sie nicht mal die besseren Menschen.
    »Nein. Ist ja interessant«, hörte ich mich sagen. »Wie funktioniert das? Ich meine, trinken und dann noch solche Sachen aufs Papier bringen …«
    »Genie!«
    Ich zuckte zusammen. Sie hatte keine Sekunde gezögert, dieses Wort zu benutzen.
    »Und Einsamkeit!«
    »Einsamkeit? Einsamkeit kann einen ganz schön fertig machen.« Ich wusste wovon ich sprach.
    »Eben.« Sie schien sich über meine Bemerkung zu freuen. Das freute mich nun wieder.
    »Einsamkeit ist nichts weiter als der Zielpunkt einer Lebenseinstellung«, fuhr sie fort. »Sie ist etwas Aktives, verstehen Sie. Etwas Gewolltes. Gleichzeitig ist sie eine Herausforderung, der nicht jeder gewachsen ist. Man muss sie schützen, diese Einsamkeit. Es gibt genug Leute, die sie kaputt machen wollen, von außen. Ob bewusst oder unbewusst. Das Resultat bleibt das Gleiche. Zerstörung der Einsamkeit!«
    Sie geriet ein wenig außer Atem. Ich nickte zustimmend. Sie war scheinbar mit allen Wassern des Daseins gewaschen. Ich war froh, dass sie mich nicht mit Céline erwischt hatte.
    »Darf ich Ihnen die Bücher einpacken?«
    Das ging mir nun doch zu schnell.
    »Ich wollte zu Frau Klein«, lenkte ich das Gespräch in andere Bahnen. »Ist sie hier?«
    »Nein. Sie hat Pause. Was wollen Sie von ihr?«
    »Ich wollte sie etwas fragen. Etwas Persönliches.«
    »Fragen Sie!«
    »Wann kann ich Frau Klein erreichen?«
    »Fragen Sie!«
    Die Ladentür öffnete sich. Eine Kundin betrat den Verkaufsraum. Guter Zeitpunkt. Ich leitete meinen Rückzug ein. An der Tür schaute ich mich noch einmal um.
    »Hallo Anne«, sagte die Kundin und reichte der Verkäuferin die Hand. »Ist der Hegel eingetroffen?«  
    Nein. Auf die Haarfarbe als Erkennungsmerkmal war kein Verlass mehr.
    Ich tat so, als wäre mir in letzter Sekunde etwas Wichtiges eingefallen und trat wieder näher. Ich griff mir erneut ein Buch. Anne Klein blitzte mich missmutig an.
    »Die ›Phänomenologie‹ ist noch nicht da«, sagte sie in Richtung der Kundin. »Vielleicht in einer Stunde.«
    Die Kundin ging. Anne Klein kam auf mich zu.
    »Was wollen Sie von mir?«
    Ich schwieg.
    »Ich habe Sie was gefragt!« Sie artikulierte jetzt messerscharf und schob sich näher und näher an mich heran. Ich hatte nichts dagegen. Sie roch gut. Sie sah gut aus. Nur ihre Stimmung war mies. Na und. Mit so was kannte ich mich aus. Bestens sogar. Jede Menge Leute in dieser Gegend waren so gestrickt. Unhöflich, übellaunig, dauerverschnupft. Wahrscheinlich bildete ich da keine Ausnahme.
    »Pessoa war also Alkoholiker?«, nahm ich den Faden des abgebrochenen Gespräches wieder auf. Natürlich nur, um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Jetzt verstehe ich …«
    »Was?«
    »Sein frühes Ende.«
    »Er wurde 47!«
    Aus ihrem Mund klang das wie 100. Vielleicht hielt sie Leute in diesen Altersregionen bereits für Zombies. Und vielleicht hatte sie damit nicht ganz unrecht. Die moderne Medizin machte ja einiges möglich.
    »Möchten Sie das Buch kaufen?«
    »Na ja«, sagte ich. Ich sah mir das Buch an, das ich ohne hinzuschauen aus dem Regal gezogen hatte. Brecht, die Gedichte. »Na ja«, sagte ich noch einmal.
    Mir fiel wieder ein, warum ich gekommen war. Brand, Stalking . Natürlich konnte ich sie unmöglich fragen, warum sie hinter Brand her war. Warum eigentlich nicht? Vielleicht hätte mir die Antwort nicht gefallen. Plötzlich wurde mir klar, dass mich eine andere Frage seit dem denkwürdigen Treppenauftritt bewegte. Anne Klein sah gut, nein, sie sah umwerfend aus. Brand dagegen war ein mittelmäßig aussehender Märker. Was, um Himmels Willen, fand Anne an diesem Alexander Brand?
    Was sie nicht auch an mir hätte finden können, setzte mein Unterbewusstsein hinzu.
    »Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten? Wenn man fragen darf?«
    Sie ging nicht darauf ein. Das Gegenteil hätte mich auch gewundert.
    »Das Buch …«
    »Leider habe ich kein Geld bei mir«, log ich.
    »Natürlich nicht. Und Ihre Geldkarte liegt zu Hause in der Schreibtischschublade.«
    Das stimmte. Haargenau. »Woher wissen Sie …«
    »Das höre ich hundertmal am Tag. Und hundertmal am Tag tue ich so, als
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