Hundert Jahre Einsamkeit
Nigromanta. Zu jener Zeit lebte Aureliano vom Verkauf von Bestecken, Kandelabern und sonstigem Hausrat. Wenn er keinen Centavo mehr besaß, was häufig vorkam, erreichte er, daß man ihm in den Marktkneipen die Hahnenköpfe schenkte, die sonst in den Müll wanderten, und er brachte sie Nigromanta, die ihm davon eine mit Portulak und Minze verstärkte Suppe kochte. Als ihr Urgroßvater starb, suchte Aureliano das Haus nicht mehr auf, traf sich aber mit Nigromanta unter den dunklen Mandelbäumen des Dorfplatzes, wo sie mit ihren Raubtierpfiffen die wenigen Nachtschwärmer anlockte. Mehrmals begleitete er sie und sprach mit ihr auf antillisch von Hahnenkopfsuppen und anderen Köstlichkeiten des Elends und hätte es auch weiterhin getan, hätte sie ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, daß seine Gesellschaft ihr die Kundschaft verscheuchte. Wenngleich er einige Male die Versuchung verspürte und Nigromanta selbst es als natürlichen Höhepunkt der geteilten Sehnsucht betrachtet hätte, ging er doch nie mit ihr ins Bett. So war Aureliano noch Jungfrau, als Amaranta Ursula nach Macondo zurückkehrte und ihm eine geschwisterliche Umarmung gab, die ihm den Atem benahm. Jedesmal, wenn er sie sah, ja noch schlimmer, wenn sie ihm die Modetänze beibrachte, spürte er die gleiche schwammige Schutzlosigkeit in den Knochen, die seinen Ururgroßvater befallen hatte, als Pilar Ternera ihn unter dem Vorwand des Kartenlegens in den Speicher geschleppt hatte. Um seine Qual zu ersticken, vergrub er sich noch tiefer in seine Pergamente und ging den harmlosen Liebkosungen jener Tante aus dem Weg, die seine Nächte mit widerwärtigen Ausflüssen vergiftete, doch je mehr er sie mied, desto ungeduldiger wartete er auf ihr kieselklirrendes Gelächter, ihr befriedigtes Katzenmiauen und ihr dankbares Geträller, wenn sie zu irgendeiner Tageszeit und in den unvermutetsten Winkeln des Hauses vor Liebe girrte. Eines Nachts, zehn Meter von seinem Bett entfernt, schlug das Paar mit entblößten Bäuchen auf seinem Silberschmiedetisch den Glaskasten ein und liebte sich schließlich in einer Lache von Salzsäure. Aureliano konnte nicht nur kein Auge zutun, sondern fieberte wutschluchzend den ganzen nächsten Tag. Sie wollte und wollte nicht kommen, die erste Nacht, in der er Nigromanta im Schatten der Mandelbäume erwartete, von eisigen Nadelstichen der Ungewißheit durchzuckt, mit der Faust die eineinhalb Pesos pressend, um die er Amaranta Ursula gebeten hatte, weniger weil er sie brauchte, als um jene festzunageln, sie zu besudeln und irgendwie seinem Abenteuer preiszugeben. Nigromanta nahm ihn in ihre von Diebeslämpchen spärlich erhellte Kammer mit, zog ihn auf ihr Klappbett mit seinem von fehlgeschlagenen Lieben befleckten Leintuch, zog ihn an ihren Körper einer tollwütigen, steinharten, ruchlosen Hündin und schickte sich an, ihn abzufertigen, als sei er ein erschrockenes Kind, hatte aber alsbald einen Mann vor sich, dessen unheimliches Vermögen von ihren Eingeweiden eine erdbebenhafte Anpassung forderte.
Sie wurden ein Liebespaar. Nun verbrachte Aureliano den Vormittag beim Entziffern der Pergamente und verfügte sich in der Stunde des Mittagsschlafs in die betäubende Schlafkammer, wo Nigromanta ihn erwartete, um ihm zuallererst beizubringen, wie man es trieb nach Art der Würmer, dann nach Schnecken- und schließlich nach Krebsart, bis sie ihn verlassen mußte, um Liebeshungrige zu angeln. Mehrere Wochen vergingen, bis Aureliano entdeckte, daß sie um die Taille einen cellosaitenähnlichen Reif trug, der indes stahlhart war und keine Lötstelle aufwies, weil er mit ihr geboren und gewachsen war. Zwischen dem ersten und dem zweiten Liebesakt aßen sie fast immer nackt im Bett, in der betäubenden Hitze unter den Tagessternen, die der Rost im Blechdach funkeln ließ. Zum ersten Male hatte Nigromanta einen festen Freund, einen Dauerbeschäler, wie sie, von Lachen geschüttelt, ihn selber nannte, und begann sich sogar bereits Herzensillusionen hinzugeben, als Aureliano ihr dann seine ungestillte Leidenschaft für Amaranta Ursula gestand, die er jedoch nicht durch den ihm von ihr gewährten Ersatz hatte stillen können und die ihm desto peinsamer in den Eingeweiden rumorte, je mehr die Erfahrung seinen Horizont der Liebe erweiterte. Nigromanta empfing ihn zwar nach wie vor mit gleichbleibender Glut, ließ sich aber ihre Dienste so pünktlich bezahlen, daß, wenn Aureliano kein Geld mitbrachte, sie es ihm ankreidete, doch nicht in Zahlen,
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