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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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militärisch, dann gab sie sich zu erkennen:
    »Ich bin Oberst Gregorio Stevenson.«
    Er brachte schlechte Nachrichten. Die letzten liberalen Widerstandsherde waren ihm zufolge soeben vernichtet worden. Oberst Aureliano Buendía, der, als Stevenson ihn verließ, gerade in Richtung Riohacha zurückfiel, hatte ihm die Mission anvertraut, mit Arcadio zu sprechen. Er solle den Standort ohne Widerstand übergeben, unter der Bedingung, daß Leben und Besitz der Liberalen auf Ehrenwort geachtet würden. Mitleidig musterte Arcadio den fremden Boten, der einer flüchtenden Großmutter zum Verwechseln ähnlich sah.
    »Sie haben natürlich einen schriftlichen Auftrag bei sich«, sagte er.
    »Natürlich«, erwiderte der Abgesandte, »habe ich nichts dergleichen bei mir. Es versteht sich von selbst, daß man unter den augenblicklichen Umständen nichts Belastendes mitführt.«
    Während er sprach, zog er aus seiner Weste ein Goldfischchen und legte es auf den Tisch. »Ich glaube, das genügt«, sagte er. Arcadio stellte fest, daß es tatsächlich eines der von Oberst Aureliano Buendía geschmiedeten Fischchen war. Freilich hätte es jemand vor dem Krieg kaufen oder stehlen können, so daß es folglich nicht den Wert eines Geleitbriefs besaß. Der Bote verletzte sogar ein Kriegsgeheimnis, um seinen Namen glaubhaft zu machen. Er enthüllte, daß er in geheimer Mission nach Curaçao unterwegs sei, wo er Verbannte des ganzen Karibischen Meers anzumustern sowie Waffen und genügend Kriegsbedarf zu erwerben hoffte, um gegen Jahresende eine Landung wagen zu können. Auf diesem Plan fußend, sei Oberst Aureliano Buendía in diesem Augenblick nicht dafür, unnütze Opfer zu bringen. Doch Arcadio war unbeugsam. Er ließ den Boten einsperren, während er seinen Namen überprüfte, und beschloß, seine Garnison bis zum letzten Mann zu verteidigen.
    Er brauchte nicht lange zu warten. Die Nachrichten von der Niederlage der Liberalen erwiesen sich als immer zutreffender. Ende März, an einem von vorzeitigem Regen heimgesuchten Tagesanbruch, endete die gespannte Ruhe der vergangenen Woche jäh mit einem verzweifelten Trompetenstoß, gefolgt von Geschützbeschuß, der den Kirchturm umriß. In Wirklichkeit war Arcadios Wille zum Widerstand reiner Wahnsinn. Verfügte er doch nicht über mehr als fünfzig höchstens mit je zwanzig Schuß ausgerüstete Waffenträger. Allerdings befanden sich unter ihnen seine einstigen, von flammenden Aufrufen erhitzten Schüler, die bereit waren, ihre Haut für eine verlorene Sache zu Markt zu tragen. Inmitten von Stiefelgetrappel, widersprechenden Befehlen, erderschütterndem Kanonendonner, kopflosem Geschieße und sinnlosen Trompetensignalen gelang es dem angeblichen Oberst Stevenson mit Arcadio zu sprechen. »Ersparen Sie mir die Würdelosigkeit, in diesem Block mit Weiberfetzen am Leib zu sterben«, sagte er. »Wenn ich sterben soll, dann bitte kämpfend.« Sein Überredungsversuch gelang. Arcadio befahl, man solle ihm eine Waffe mit zwanzig Patronen aushändigen und ihm mit fünf Soldaten die Verteidigung der Kaserne übergeben, während er selbst sich mit seinem Generalstab zu den Widerstandslinien begeben wollte. Er kam nicht einmal bis zum Moorweg. Schon waren die Barrikaden niedergerissen, und die Verteidiger schlugen sich ohne Deckung in den Gassen, zunächst solange ihre Gewehrkugeln reichten, danach mit Pistolen gegen Gewehre und endlich Mann gegen Mann. Angesichts der drohenden Niederlage stürzte eine mit Stöcken und Küchenmessern bewaffnete Handvoll Weiber auf die Straße. In dieser Verwirrung fand Arcadio Amaranta, die ihn wie eine Wahnsinnige suchte, im Nachthemd, zwei alte Pistolen José Arcadio Buendías in den Fäusten. Er übergab sein Gewehr einem Offizier, der im Nahkampf entwaffnet worden war, und floh mit Amaranta durch eine Seitengasse, um sie nach Hause zu bringen. Ursula stand wartend an der Tür, gleichgültig gegen die Salven, die in die Fassade des Nachbarhauses eine Schießscharte geschlagen hatten. Der Regen hatte nachgelassen, doch die Straßen waren schlüpfrig und aufgeweicht wie zerlaufene Seife, und es war schwierig, die Entfernungen in der Dunkelheit abzuschätzen. Arcadio ließ Amaranta bei Ursula zurück und versuchte zwei Soldaten die Stirn zu bieten, die von der Ecke aus aufs Geratewohl losfeuerten. Die viele Jahre in einem Kleiderschrank aufbewahrten Pistolen versagten ihren Dienst. Arcadio mit ihrem Leib schützend, versuchte Ursula ihn ins Haus zu zerren.
    »Komm, um

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